Die Jagd nach Arzneien mit Hilfe des Erbguts ist verzwickt

07.04.2004
Berlin (dpa) - Nach der Entzifferung des menschlichen Erbguts versuchen Forscher weltweit, das gewonnene Wissen in Therapien umzuwandeln. Die als «Meilenstein» gefeierte Genkarte weckte die Hoffnung bei Patienten auf maßgeschneiderte Wirkstoffe und bei der Industrie auf neue Verkaufsschlager. «Im Jahr 2005 werden von den 100 meistverkauften Medikamenten 53 ihren Patentschutz verlieren», sagte Siegfried Neumann von der Merck KGaA (Darmstadt) am Dienstag beim Kongress der Humangenom-Organisation in Berlin. Die neuartige Jagd nach Medikamenten ist eröffnet. Doch sie ist mühsamer als gedacht. Die Funktion der Gene und ihrer Proteine zu verstehen und Angriffspunkte für neue Arzneimittel zu finden, erfordert sehr komplexe Forschung. «Was wir wirklich unterschätzt haben ist, dass die Proteine sich gegenseitig beeinflussen und verschiedene Aufgaben bei einer Krankheit haben können», sagt Frank Douglas, Vorstandsmitglied von Aventis. Und selbst wenn ein Angriffspunkt identifiziert sei, müsse immer noch ein wirksamer Stoff dagegen gefunden werden. Wie aufwendig die Suche ist, beschreibt die Forscherin Gillian Bates (London). Im Jahr 1983 wurde das verantwortliche Gen für die schwere Nervenkrankheit Chorea Huntington auf dem Erbgutträger Chromosom 4 lokalisiert. 1993 wurde das Gen geklont. 1996 gab es die ersten Labormäuse mit der Krankheit, die die Nerven zerstört und beim Menschen binnen 5 bis 20 Jahren zum Tod führt. Wegen der unkontrollierten Bewegungen wird sie auch Veitstanz genannt. 1997 stellte sich heraus: Das zum Gen gehörige Eiweiß verklumpt, lagert sich ab und greift die Nerven an. Mehr als 20 Jahre nach der Lokalisierung des Gens gibt es nun einige Substanzen, die diese Verklumpung verhindern könnten. Um solche Substanzen zu finden, hat ein Team um den Berliner Wissenschaftler Erich Wanker in Zusammenarbeit mit der Industrie rund 180 000 Stoffe in einem Massentest geprüft. «Und wenn einer übrig bleibt, der wirkt, bin ich glücklich», sagt Wanker vom Max-Delbrück- Centrum für Molekulare Medizin in Berlin-Buch. Einige Forschergruppen arbeiten auch daran, das defekte Huntington-Gen auszuschalten und die Krankheit gar nicht erst auftreten zu lassen. Chorea Huntington ist selten. Geschätzt wird, dass fünf bis zehn Menschen von 100 000 an der Erbkrankheit erkranken. Sie gilt bei der Pharmaindustrie als «kleine» Krankheit, im Vergleich zu Krankheiten wie Diabetes oder Herz-Kreislauf-Störungen sind weniger Umsätze zu erwarten. Die Bedeutung der Genomforschung für die Entdeckung von Medikamenten sei derzeit schwierig zu Messen, aber erste Schritte in Richtung bessere Sicherheit und genauere Wirkweise seien gegangen, sagt Douglas von Aventis. Ein Trend ist es, nun bei klinischen Studien auch eine genetische Unterstudie anzustreben. «Sollten Patienten besonders gut oder nicht auf ein Medikament ansprechen, kann man untersuchen, ob es Hinweise darauf gibt, warum das so ist», sagt Klaus Lindpaintner vom Roche Center for Medical genomics (Basel). Lindpaintners Fazit ist jedoch: «Wir werden nie maßgeschneiderte Medikamente für den einzelnen Patienten haben, aber bessere Konfektionsware auch mit Zwischengrößen.»

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