Wachstum der deutschen Biotech-Branche gestoppt

Neuer Biotechnologie-Report vorgestellt

09.05.2003
Das Jahr 2002 war für die deutsche Biotech-Branche ein schwieriges Jahr. Bei den wichtigen Kennzahlen - Mitarbeiter und Umsatz - sind leichte Rückgänge zu verzeichnen. Erstmals ist auch die Zahl der Biotechnologie-Unternehmen in Deutschland gesunken: von 365 auf 360. Zu diesen Ergebnissen kommt der vierte deutsche Biotechnologie-Report, den Ernst & Young gestern in Berlin vorgestellt hat. Für die Studie wurden deutsche "Core-Biotech-Unternehmen" untersucht, die ausschließlich moderne Methoden der Biotechnologie entwickeln oder anwenden. Nach dem Boom der letzten fünf Jahre mit jeweils zweistelligen Zuwachsraten brachte das vergangene Jahr einen Wendepunkt: Die Zahl der Beschäftigten ging um sieben Prozent auf 13.400 zurück - im Jahr 2001 waren noch 3.700 neue Arbeitsplätze geschaffen wor-den. Der Gesamtumsatz sank um drei Prozent auf 1,014 Milliarden Euro. Besonders stark wurden die Ausgaben für Forschung und Entwicklung reduziert: um 11 Prozent auf 1,090 Milliarden Euro. Im Jahr 2002 gingen in Deutschland insgesamt 26 Unternehmen in die Insolvenz. Vier weitere Unternehmen wurden aufgekauft bzw. fusioniert. Dem standen 25 Neugründungen gegenüber. Diese Entwicklung kann als Beginn der schon lange prognostizierten und notwendigen Konsolidierung der Branche betrachtet werden. Konsolidierung der Branche ist unvermeidbar "Die Entwicklung im vergangenen Jahr war weniger schlimm als von vielen erwartet - die deutsche Biotech-Branche hat sich angesichts eines drastisch verschlechterten wirtschaftlichen Umfelds noch relativ gut behauptet", kommentiert Alfred Müller, Vorstandsmitglied von Ernst & Young in Deutschland und zuständig für den Bereich Health Sciences, die Lage der Branche in Deutschland. Das Jahr 2003 verspreche allerdings keine Besserung. Eher müsse man davon ausgehen, dass die bereits für das Jahr 2002 prognostizierte Konsolidierung der Branche nun unvermeidbar sein werde. "Aufgrund von Schwierigkeiten bei der Finanzierung und wegen immer noch fehlender eigener Umsätze kämpfen viele Firmen heute um das Überleben", stellt Müller fest. Insofern sei für die deutsche Biotech-Branche eine Zeit der Bewährung angebrochen. Müller: "Dabei müssen unweigerlich Insolvenzen in Kauf genommen werden." Entscheidend sei, wie einer Mittelschicht von Firmen mit vorhandenem Potenzial, jedoch ohne ausreichende Kapitalausstattung, zur Überwindung der derzeitigen Finanzierungskrise eine Brücke gebaut werden kann. "Bei aller Skepsis steht jedoch das grundsätzliche Potenzial der Biotech-Industrie außer Frage, da die von ihr angestrebten Märkte - vor allem im medizinischen Bereich - nach wie vor zu den interessantesten zählen und großen Bedarf an innovativen Produkten haben", so Müller. Eine nachhaltige Stabilisierung der Branche erfordere nun vor allem das Erreichen von kritischer Masse bei den Unternehmen. Zudem müssten sich die Unternehmen auf tragfähige Geschäftsmodelle konzentrieren, die darauf ausgerichtet sind, Umsätze auch im kurz- und mittelfristigen Zeithorizont zu generieren. Und schließlich sei es noch immer in vielen Unternehmen notwendig, professionelle Managementstrukturen zu etablieren. Auch in Europa verzeichnet die Biotechnologie-Industrie leichte Rückgänge Europaweit stagnierte die Zahl der Biotech-Unternehmen: Gegenüber dem Vorjahr sank die Zahl der Unternehmen von 1.879 auf 1.878. Der Umsatz reduzierte sich um zwei Prozent auf 12,861 Mrd. Euro, die Zahl der Mitarbeiter sank um sechs Prozent auf 82.124. Deutschland hat mit 360 Biotechnologie-Firmen zwar weiterhin die meisten Unternehmen, hinsichtlich der durchschnittlichen Größe der Firmen, der Produkte, des Umsatzes und der Marktkapitalisierung rangiert die deutsche Biotechnologie-Industrie allerdings weiterhin auf einem mittleren Platz. Zum Vergleich: In Großbritannien erwirtschafteten 331 Unternehmen zusammen einen Umsatz von 4,163 Mrd. Euro, in der Schweiz sind es 129 Unternehmen, die im Jahr 2002 einen Umsatz von 2,115 Mrd. Euro generierten. Programme zur Kosteneinsparung beginnen zu greifen Da sich die deutsche Biotech-Branche in einem relativ frühen Entwicklungsstadium befindet, ist die Geschäftstätigkeit zwangsläufig mit hohen Anfangsverlusten verbunden. Im vergangenen Jahr betrug der Verlust insgesamt 661 Mio. Euro. Das ist ein Anstieg um 20 Prozent gegenüber dem Jahr 2001. Nachdem die Steigerungsrate im Vorjahr noch 123 Prozent betragen hatte, zeigt sich, dass die Unternehmen vor dem Hintergrund der schwierigen wirtschaftlichen Lage Anstrengungen unternommen haben, ihre Kosten zu kontrollieren und ihre "Burn Rate" zu senken. Bereits in Angriff genommene Produktentwicklungen wurden zunächst zurückgestellt, Restrukturierungsmaßnahmen wurden in zahlreichen Firmen eingeleitet. Angesichts der angespannten Finanzierungslage hat die Generierung von kurzfristigen Umsätzen an Bedeutung gewonnen, so dass viele Unternehmen begonnen haben, ihre Geschäftsmodelle entsprechend anzupassen. Nach wie vor konzentrieren sich 46 Prozent der Unternehmen auf die Produktentwicklung. Allerdings ist der Anteil der Unternehmen, die lediglich Service anbieten, von 13 auf 18 Prozent gestiegen. Sparen bei Forschung und Entwicklung Nachdem im Jahr 2001 die Ausgaben für Forschung und Entwicklung noch um 71 Prozent auf 1.228 Mio. Euro gestiegen waren, haben die Unternehmen im Jahr 2002 - im Zusammenhang mit Kostensenkungsmaßnahmen - diesen Ausgabenbereich erstmals reduziert: um 11 Prozent auf 1.014 Mio. Euro. Insgesamt sind die Ausgaben für Forschung und Entwicklung aber immer noch höher als der Umsatz, den die Branche erzielt. Auch die Zahl der Mitarbeiter in diesem Bereich sank deutlich um sieben Prozent auf 7.308. Hier besteht ein deutlicher Unterschied im Vergleich zum europäischen Umfeld, wo im F&E Bereich durchschnittlich 6 Prozent mehr investiert wurde als im Vorjahr. Reifeprozess zum Stillstand gekommen Bis zum vergangenen Jahr war die Zahl der Mitarbeiter pro Unternehmen kontinuierlich gestiegen. Dies galt als Zeichen für die zunehmende Reife der Branche. Im Jahr 2002 ist dieser Reifeprozess allerdings gestoppt worden. Der Anteil der sehr kleinen Biotech-Unternehmen ist sogar gestiegen: 77 Prozent der Biotech-Unternehmen beschäftigten bis zu 30 Mitarbeiter - im Jahr 2001 lag dieser Wert noch bei 74 Prozent. Gleichzeitig ist allerdings die Zahl der Unternehmen mit mehr als 100 Mitarbeitern leicht von 15 auf 16 gestiegen, was auf eine positive Entwicklung bei den etablierten Biotech-Firmen hindeutet. "Bedauerlicherweise findet dieser Bruch in einem Stadium statt, in dem die bisherige Entwicklung der Branche noch keine größere Zahl an stabilen Unternehmen hervorgebracht hat," kommentiert Alfred Müller diese Entwicklung. Zudem sei es immer noch nicht zu der nötigen Konsolidierung durch Zusammenschlüsse und Übernahmen gekommen, die bei vielen Unternehmen erst zur notwendigen kritischen Masse führen würde. "Nach wie vor fällt in Deutschland über die Hälfte des Gesamtumsatzes der Branche auf die 12 börsennotierten Core-Biotech-Unternehmen", erläutert Müller. Zahlreiche vorwiegend kleine Unternehmen machten nach wie vor keinen oder nur sehr wenig Umsatz. Weniger Produkte in der Entwicklung - aber mehr in Phase 1 Der Durchbruch bei der Entwicklung von marktreifen Wirkstoffen lässt weiter auf sich warten: Insgesamt ist die Zahl der Produkte, die sich in der Entwicklungspipeline befinden, von 183 auf 177 zurückgegangen. In Phase I befanden sich 2002 mit 34 Projekten sieben mehr als 2001. Einige Phase II-Projekte schlugen fehl oder wurden aufgrund zu hoher Kosten aufgegeben bzw. zurückgestellt. Andere Projekte werden nicht mehr von dieser Statistik erfasst (z.B. Rhein Biotech nach Übernahme durch die Schweizer Firma Berna Biotech). In Phase II waren folglich noch 22 Projekte in aktiver Entwicklung; drei Produkte befanden sich in Phase III., ein Produkt in der Zulassungsphase. Venture Kapital wird zur einzigen Eigenkapitalquelle Im Vergleich zum Vorjahr hat sich in Deutschland das in die Biotech-Branche investierte Eigenkapital um mehr als die Hälfte reduziert. Insgesamt flossen 207 Mio. Euro Risikokapital in die deutsche Biotech-Branche, wohingegen in 2000 noch 565 Mio Euro, in 2001 noch 525 Mio Euro investiert wurden. Aufgrund der schwachen Entwicklung der Aktienmärkte fand in Deutschland kein Biotech-Börsengang statt. Wenngleich auch auf europäischer Ebene nur zwei Börsengänge im Biotech Sektor zu verzeichnen waren, konnte immerhin das Venture Capital annähernd auf Vorjahresniveau gehalten werden (EUR 1.1 bn vs. EUR1.3 bn in 2001 and EUR1.2 bn in 2000). Bayern bleibt stärkster Biotech-Standort Bei der Anzahl der Biotech-Unternehmen nimmt Bayern mit 85 Unternehmen weiterhin die Spitzenstellung ein, gefolgt von Baden-Württemberg (67) und Nordrhein-Westfalen (42). Durch eine Reihe von Initiativen auf Länderebene entstehen weiterhin neue Biotech-Zentren, die durch spezifische Profilierung ihre Attraktivität für die Ansiedlung neuer Firmen herausstellen.

Weitere News aus dem Ressort Wirtschaft & Finanzen

Meistgelesene News

Weitere News von unseren anderen Portalen

Kampf gegen Krebs: Neueste Entwicklungen und Fortschritte