Wirkmechanismus von neuem Medikament gegen Multiple Sklerose entdeckt
Dimethylfumarat blockiert Rezeptor und hemmt Einwanderung von Entzündungszellen ins zentrale Nervensystem
© MPI f. Herz- und Lungenforschung
Bei der Multiplen Sklerose handelt es sich um eine chronisch entzündliche Erkrankung des zentralen Nervensystems. Dabei zerstört das Immunsystem die Myelin-Hüllen der Nervenfasern. Weder ist die Ursache der Multiplen Sklerose bekannt, noch ist die Krankheit bislang heilbar. Allerdings steht eine Reihe von Therapien zur Verfügung, die den Verlauf positiv beeinflussen können.
Die Basistherapie der Multiplen Sklerose erfolgt bislang zumeist mittels beta-Interferonen oder dem Wirkstoff Glatirameracetat. In beiden Fällen erfolgt die Verabreichung durch Injektionen unter die Haut oder in die Muskulatur, was von vielen Patienten als erhebliche Belastung empfunden wird.
Dagegen entwickelt sich der erst vor wenigen Wochen in Europa zur Behandlung der Multiplen Sklerose zugelassene Wirkstoff Dimethylfumarat (DMF) für die Betroffenen zu einem Hoffnungsträger, da er bequem oral als Tablette verabreicht werden kann. In klinischen Studien wurde eine zumindest vergleichbare Wirksamkeit zu den etablierten Wirkstoffen nachgewiesen. Die durch DMF verursachten Nebenwirkungen sind vergleichsweise moderat.
Zwar wird DMF schon seit rund zwanzig Jahren erfolgreich zur Behandlung der Schuppenflechte eingesetzt, doch ist bislang wenig verstanden, auf welche Weise es die Immunfunktion beeinflusst. Wissenschaftler aus den Arbeitsgruppen von Nina Wettschureck am Max-Planck-Institut für Herz- und Lungenforschung in Bad Nauheim sowie Markus Schwaninger vom Institut für Experimentelle und Klinische Pharmakologie und Toxikologie der Universität zu Lübeck haben wesentliche Eigenschaften des Wirkmechanismus von DMF aufgeklärt.
Die Forscher verwendeten in ihrer Studie ein standardisiertes Mausmodell für Multiple Sklerose. Bei diesem Modell werden Mäuse mit Bestandteilen von Myelin immunisiert. Dies führt bei den Tieren zu neurologischen Ausfällen ähnlich der Multiplen Sklerose. „Die Mäuse, die wir mit DMF behandelt hatten, konnten sich im Vergleich zur Kontrollgruppe deutlich besser bewegen“, so Wettschureck.
Dem Wirkmechanismus sind die Forscher auf die Spur gekommen, indem sie genetisch veränderte Mäuse in gleicher Weise behandelt haben: „Bei Mäusen, denen das Gen für einen Rezeptor mit dem Namen HCA2 fehlt, konnte DMF das Auftreten von Lähmungserscheinungen nicht verhindern“, so Schwaninger. Die therapeutische Wirkung des DMF wird folglich über den HCA2-Rezeptor vermittelt.
Bei HCA2 handelt es sich um einen sogenannten G-Protein-gekoppelten Rezeptor, der unter anderem auf einem bestimmten Typ weißer Blutkörperchen vorkommt, den neutrophilen Granulozyten. „Bei Tieren, die mit DMF behandelt wurden, waren viel weniger Granulozyten in das Nervensystem eingewandert als bei unbehandelten Tieren. Bei den Tieren, denen der HCA2-Rezeptor fehlte, blieb die Zahl der eingewanderten Granulozyten trotz Behandlung mit DMF unverändert hoch“, sagte Schwaninger.
In weiteren Experimenten an Zellkulturen fanden die Wissenschaftler heraus, dass die Aktivierung des HCA2-Rezeptors für die Einwanderung der weißen Blutkörperchen in das zentrale Nervensystem verantwortlich ist. DMF blockiert diese Einwanderung und verhindert so die Entzündung. „Mit unserer Studie konnten wir erstmals zeigen, dass die Schutzwirkung von DMF auf dem HCA2-Rezeptor beruht. Wir schließen aber nicht aus, dass es noch weitere Mechanismen gibt“, stellte Wettschureck fest.
Im nächsten Schritt wollen die Wissenschaftler herausfinden, warum Patienten unterschiedlich gut auf die Behandlung mit DMF ansprechen. „Es könnte sein, dass individuelle genetische Unterschiede die Wirksamkeit von DMF beeinflussen“, so Schwaninger. Zukünftig könnten also Therapieverfahren gezielt auf den einzelnen Patienten abgestimmt werden, eine Vorgehensweise, die als personalisierte Medizin bezeichnet wird.
Darüber hinaus wollen die Forscher nach weiteren Substanzen suchen, die an den HCA2-Rezeptor binden. „Idealerweise finden wir einen Stoff mit vergleichbarer oder sogar besserer Wirksamkeit, der aber geringere Nebenwirkungen verursacht“, so Wettschureck. Die Bad Nauheimer und Lübecker Wissenschaftler erhoffen sich davon die Entwicklung neuartiger Therapeutika für die Behandlung von Multipler Sklerose mit verbessertem Wirkungs- und Nebenwirkungsprofil.