Ein Scharlatan der Evolutionsbiologie

Jenaer Forscher veröffentlichen wissenschaftshistorischen Beitrag in "Science"

08.07.2002

Jena (05.07.02) Georg Schneider (1909-1970) kennen selbst in Jena nur wenige, obwohl er hier lange Jahre als Professor und KPD-Sekretär tätig war. Ab sofort ist Schneider als Beispiel für einen Wissenschaftler mit bester Ausbildung, der zu einem wissenschaftlichen Scharlatan mit politischer Prägung mutierte, weltbekannt. Denn heute (05.07.) erscheint im renommierten internationalen Wissenschaftsmagazin "Science" ein zweiseitiger Beitrag der Jenaer Wissenschaftler Dr. Uwe Hoßfeld und Prof. Dr. Lennart Olsson mit dem Titel "From the Modern Synthesis to Lysenkoism, and Back?" (Von der Modernen Synthese zum Lyssenkoismus - und zurück?). "Es ist seit Jahren der erste Essay deutscher Wissenschaftler zu einem wissenschaftstheoretischen Thema, der unseres Wissens in Science publiziert wurde", freuen sich der Wissenschaftshistoriker Hoßfeld und der Zoologe Olsson. Die beiden Forscher von der Friedrich-Schiller-Universität Jena waren über die Annahme des Manuskripts selber verblüfft. "Wir hielten das Thema zwar für hochinteressant", beschreibt Olsson. "Dass wir aber die strengen Auswahlkriterien und den Wettbewerb um diese nur einmal pro Monat erscheinende Rubrik "Portraits of Science" erfüllen, hat uns selber überrascht".

Dabei hat das Thema Georg Schneider, das derzeit auch Katja Schulze in ihrer Magisterarbeit am Ernst-Haeckel-Haus der Universität ausgiebig untersucht, durchaus globale Dimensionen. "Schneider ist zwar ein Einzelfall", weiß Hoßfeld, "aber in seiner Person treffen sich lokale, nationale und internationale Dimensionen, und damit ist er ein Idealfall für das Problemfeld Biologie - Politik". Er ist ein Beispiel für die vergeblichen Hoffnungen zahlreicher Wissenschaftler nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs auf eine Trennung von Wissenschaft und Politik. Schneider verdeutlicht, wie gerade in der DDR die neuen politischen Machthaber ihren Führungsanspruch in den Wissenschaften anmeldeten und trotz jeder anders lautenden wissenschaftlichen Forschung auch umsetzen konnten.

In der Biologie hatte in den 1920-30er Jahren die "zweite Darwinsche Revolution" stattgefunden, hatten sich einzelne biologische Disziplinen zur Kooperation zusammengefunden. Diese Entwicklung, "Moderne Synthese" genannt, wurde später vor allem in der Sowjetunion bekämpft. So baute der ukrainische Agronom Trofim D. Lyssenko (1898-1976) ein "Ideengebäude" auf mit der Hauptaussage, dass erworbene Eigenschaften vererbt werden können. Diese auch unter dem Namen "Mitschurin-Biologie" oder "Schöpferischer Darwinismus" verbreitete Position stand zwar in völligem Widerspruch zu allen gesicherten genetischen Erkenntnissen bereits der damaligen Zeit. Doch mit Unterstützung der politischen Macht, vor allem Josef Stalins, wurde diese Lehre verbreitet, das Gedankengut der klassischen Genetik unterdrückt und Wissenschaftler mit anderer Auffassung bedroht, verbannt oder gar getötet.

Der so genannte Lyssenkoismus fasste trotz politischen Drucks nie so richtig Fuß in der DDR - mit wenigen Ausnahmen. Dazu zählte auch Jena, wo 1947 der aus sowjetischer Emigration zurückgekehrte Marxist und Lyssenko- Anhänger Georg Schneider zum Direktor des Ernst-Haeckel-Hauses ernannt wird. Schneider, 1909 in Saarbrücken geboren, hatte in Jena Biologie studiert, musste aber 1931 wegen seiner KPD-Mitgliedschaft in die Sowjetunion emigrieren. "In Moskau erhielt er eine hervorragende Ausbildung", kommentiert Hoßfeld, "und macht dann in Jena all das zur Schnecke, was er eigentlich besser gewusst hat". Schneider gehört zur Emigrantengruppe um Walter Ulbricht, mit der er 1945 nach Jena zurückkehrt. Hier wird er sechs Tage vor der offiziellen Wiedereröffnung der Universität promoviert mit einer Arbeit, die bis heute nicht auffindbar ist, über den "Einfluss des Nervensystems auf die Regeneration der Extremitäten beim Axolotl" - jenem mexikanischen Wassersalamander, den auch Prof. Olsson erforscht und der ihn auf die Spur von Schneider brachte. Schneider wird ein Lehrauftrag erteilt und die Leitung des Haeckel-Hauses übertragen, obwohl seine Habilitationsschrift wegen mangelhafter Qualität abgelehnt wird. Was folgt, ist ein politisch motivierter Propagandafeldzug für den Lyssenkoismus, der etliche Wissenschaftler zur Flucht in den Westen zwingt. "Die klassische Genetik wurde vernichtet und in eine ideologische Genetik verändert", kommentiert Hoßfeld. Da seit dem Tod Stalins auch die Lyssenko-Doktrin zunehmend ihre Macht verliert, werden Schneiders "agrobiologische" Bemühungen uninteressant. Er wird 1959 als Botschaftsrat für Kultur nach Moskau berufen, kehrt 1962 als Professor mit Lehrauftrag für experimentelle Biologie nach Jena zurück und stirbt hier 1970 bei einem Unfall.

"Schneiders Geschichte ist in diesem großen Kontext noch nie erzählt worden", sagt Olsson. Der 40-jährige Schwede, der 2000 auf die Professur für Spezielle Zoologie der Uni Jena berufen wurde, hält den Fall für ein wichtiges wissenschaftshistorisches Beispiel: "Die Welt außerhalb Deutschlands ist an diesen Themen stärker interessiert, als man denkt", bricht der Entwicklungsbiologe eine Lanze für die Wissenschaftshistorie, die in Jena eine lange Tradition besitzt. Die interdisziplinäre Arbeit von Lennart Olsson und Uwe Hoßfeld beweist, dass sie auch eine Zukunft hat.

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