FRANKFURT (dpa-AFX) - In der Biotechnologiebranche stehen viele Unternehmen nach Ansicht eines Experten vor dem Aus. Ein erheblicher Teil der Biotech-Firmen kämpfe derzeit um die Anschlussfinanzierung, sagte Robert Tampé, Direktor des Instituts für
Biochemie an der Johann-Wolfgang-Goethe-Universität Frankfurt, in einem Gespräch mit der Nachrichtenagentur dpa-AFX.
"Viele wissen nicht, wie es weitergeht", sagte Tampé. Die Firmen stünden entweder vor dem Konkurs oder warteten darauf, übernommen zu werden. "Die Frage ist nur, ob die Großen die Kleinen fressen wollen."
Nach der Aufbruchstimmung habe sich nun Ernüchterung breit gemacht, sagte der Wissenschaftler. "Das Stimmungsbarometer ist sehr stark nach unten geschlagen, die Biotechnologie-Branche hat weltweit einen Durchhänger." Vorstellungen, dass Investoren bei Biotech-Unternehmen binnen weniger Jahre Gewinne abschöpfen könnten, seien naiv gewesen. Durchschnittlich dauere es etwa zehn Jahre von der
Grundlagenforschung bis zum Abschluss der klinischen Studien. "Gewinne fließen erst in zehn oder 20 Jahren."
ABWARTENDE HALTUNG
Derzeit herrsche in der Branche insgesamt wie auch am Finanzmarkt eine abwartende Haltung. Gerade kleinere Biotech-Unternehmen, die ohne zweites Standbein wie
Dienstleistungen seien, suchten derzeit nach einem größeren Partner. Zudem gebe es einen Trend bei großen, weltweit operierenden Pharmaunternehmen, die Entwicklungsabteilungen in die USA auszulagern. Dies berge die Gefahr, dass der Wissenschaftsstandort
Deutschland ausblute.
Um die
Biotechnologie nach vorn zu bringen, müssten marktstrategische und wissenschaftliche Gesichtspunkte näher zusammen wachsen. "Eine engere Verknüpfung von Wirtschaft und Industrie sowie der Forschung ist nötig", sagte der Wissenschaftler. Auch gingen Risikokapitalgeber nach wie vor zu zögerlich etwa auf die Universitäten zu.
KRITISCHE MASSE
Deutschland habe zwar gemeinsam mit Großbritannien bereits eine herausragende Position in Europas Biotechnologie. "Doch man braucht eine kritische Masse aus Forschung, Politik, großer
Pharmaindustrie, Finanzgebern und Analysten, um die Biotechnologie zu katalysieren", erklärte Tampé. So seien in Martinsried (bei München) mit Blick auf die Biotechnologie Anfang der 90er Jahre alle Ampeln auf Grün geschaltet worden.
In den USA gebe es neben exzellenten Universitäten auch eng miteinander verwobene Netzwerke aus Wissenschaftlern, Kleinunternehmern und Industrie. "Das sind Netzbeziehungen, die wesentlich schneller als in Deutschland greifen, wenn der Markt wieder anzieht."
ROSIGES MARKTPOTENZIAL
Dass die Biotechnologie ein "rosiges Marktpotenzial" habe, stehe außer Zweifel, sagte der Forscher. Beispiele seien
therapeutische Proteine, das "tissue engineering" (Nachzüchten menschlicher Organe oder Gewebestrukturen) oder "functional proteomics" (die Analyse des menschlichen Genoms, also des Erbguts, auf Enzymebene). "Forschung ist ein langfristiges Geschäft", sagte der Experte. "Und so müssen auch die
Investitionen getätigt werden."