Was Gene über die Evolution verraten

Genetiker der Uni Jena entschlüsseln mit internationalem Team Erbgut von Bärlappgewächsen

09.05.2011 - Deutschland

Sie sind meist nur wenige Zentimeter große, unscheinbare, krau­tige Pflanzen und bilden noch nicht einmal Blüten. Sofern sie sich in freier Natur überhaupt entdecken lassen, werden wohl die wenigsten Laien den soge­nann­ten Bärlappgewächsen etwas abgewinnen können. Für Wissenschaftler, wie Prof. Dr. Günter Theißen von der Friedrich-Schiller-Universität Jena, sind sie jedoch von immensem Interesse: „Bärlappgewächse stellen die ursprüng­lichsten Gefäßpflanzen dar“, erläutert der Inhaber des Lehrstuhls für Genetik. „Aus ihren Genen lässt sich daher viel über die stammesgeschichtliche Ent­wick­­lung der Landpflanzen ablesen.“ Dass das jetzt erstmals möglich ist, daran haben der Jenaer Genetiker und seine Doktorandin Lydia Gramzow entschei­denden Anteil: Sie sind Teil eines internationalen Forscherteams, das soeben das komplette Genom des ersten Vertreters der Bärlappgewächse sequenziert und seine Gene analysiert hat.

Selaginella moellendorffii gehört zu den mehr als Eintausend heute noch leben­den Arten von Bärlapp­gewächsen und dient den Forschern als Modellorga­nis­mus. Die Bärlappgewächse sind vor über 400 Millionen Jahren entstanden. Sie dominierten während des Karbon – vor rund 300 Millionen Jahren – als oft mehr als 30 Meter hohe Siegel- und Schuppenbäume zusammen mit Schach­tel­hal­men die Sumpfwälder der nördlichen Hemisphäre, aus denen später die Stein­kohle entstand. „Stammes­geschicht­lich sind sie das Bindeglied zwischen den ur­sprüng­licheren Moosen und den höher ent­wickelten Farnen und Samen­pflan­zen“, erläutert Prof. Theißen. An ihnen lasse sich ablesen, welche evolu­tio­nä­ren Innovationen es den Pflanzen ermög­licht haben, an Land nicht nur zu über­le­ben, sondern sich dort weiterzuent­wickeln.

Zu den Neuheiten, die bei den Bärlappgewächsen erstmals auftauchen, ge­hört die Ausbildung von verholzten Gefäßen, in denen Wasser und Nährstoffe trans­portiert werden. „Außerdem finden wir bei diesen Vertretern erstmals Spross­achsen und gut entwickelte Blätter“, erläutert Bioinformatikerin Lydia Gramzow. Dank der jetzt vorliegenden vollständigen Erbgutsequenz konnten die Forscher nun das erste Mal gezielt nach bestimmten Genen in Selaginella suchen. „Durch den Vergleich mit dem Genom anderer Landpflanzen können wir nun er­kennen, wann bestimmte Gene im Verlaufe der Evolution entstanden sind“, so die Jenaer Nachwuchswissen­schaftlerin. „Es zeigte sich beispielsweise, dass die Eroberung des Landes – der Übergang von den Grünalgen zu den Moosen – von einer wesentlich umfangreicheren Entstehung neuer Gene be­gleitet war, als die Entstehung der Gefäßpflanzen beim Übergang von den Moo­sen zu den Bär­lappen. Die Entstehung der Samenpflanzen erforderte dann wieder mehr neue Gene“, macht Lydia Gramzow deutlich.

Innerhalb des über 100-köpfigen Autorenteams aus Amerika, Europa, Austra­lien und Asien haben die Jenaer Genetiker das Selaginella-Genom gezielt nach Gen­gruppen durchforstet, die bei höheren Pflanzen die Blütenentwicklung steu­ern. Dabei haben sie allerdings nur entfernte Verwandte dieser Gene ge­fun­den. „Ein Ergebnis, das wir erwartet haben“, resümiert Prof. Theißen, der sich in sei­ner Forschung auf Gene der Blütenentwicklung spezialisiert hat. Nahe Ver­wand­te dieser Gene sind in der Evolution offenbar erst nach der Ent­stehung der Bär­lapp­gewächse aufgetaucht – parallel zur Entstehung des Sa­mens bei Sa­men­pflanzen. Doch zu diesem Zeitpunkt hatte sich die Linie, die zu den heu­te le­ben­den Samenpflanzen führt, bereits von den Bärlapp­gewäch­sen getrennt. „Das ist möglicherweise einer der Gründe, warum Bärlappgewächse bestimmte Inno­va­tionen nicht ausbilden konnten und daher im Verlauf der Evo­lution von den Sa­menpflanzen aus den meisten Lebensräumen verdrängt wor­den sind“, fügt Prof. Theißen hinzu.

Originalveröffentlichung

Banks J. A. et al.: The compact Selaginella genome identifies changes in gene content associated with the evolution of vascular plants. Science Express v. 5.5.2011

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