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Fetofetales Transfusionssyndrom



Klassifikation nach ICD-10
O43.0 Transplazentare Transfusionssyndrome
ICD-10 online (WHO-Version 2006)

  Das Fetofetale Transfusionssyndrom (abgekürzt FFTS, Synonym Zwillings-Syndrom; englisch twin-to-twin transfusion syndrome, abgekürzt TTTS) ist eine vergleichsweise seltene, aber in ihren Auswirkungen in der Regel sehr schwerwiegende Durchblutungs- und Ernährungsstörung von eineiigen Zwillingen. Sie tritt speziell auf bei Schwangerschaften mit eineiigen Zwillingen, die sich einen Mutterkuchen (Plazenta) teilen, aber getrennte Fruchtblasen haben (monochorial-diamniote Zwillingsschwangerschaft). Grundlage für dieses Syndrom sind unübliche Gefäßverbindungen (siehe Anastomosen) in der Plazenta, durch die es zu einem Ungleichgewicht des Blutaustausches zwischen den ungeborenen Kindern kommt.

Inhaltsverzeichnis

Einteilung eineiiger Zwillingsschwangerschaften

Bei Mehrlingsschwangerschaften mit eineiigen (= monozygoten) Zwillingen entstehen abhängig vom Zeitpunkt der Teilung des Embryoblasten vier Formen, wie sich die Zwillinge Plazenta und Fruchtblase teilen:

  1. Die dichorial-diamniote Zwillingsschwangerschaft ist mit etwa 70 von 100 Schwangerschaften mit eineiigen Zwillingen die mit Abstand häufigste Form. Jeder Zwilling hat einen eigenen Mutterkuchen (Plazenta) und eine eigene Fruchthöhle und ist von zwei Eihäuten (Amnion und Chorion) umhüllt, sodass die Trennwand zwischen ihnen aus vier Eihäuten besteht.
  2. Die monochorial-diamniote Zwillingsschwangerschaft kommt bei ca. 30 von 100 Schwangerschaften mit eineiigen Zwillingen vor. Die Zwillinge teilen sich einen Mutterkuchen (Plazenta), jedes Kind hat jedoch eine eigene Fruchthöhle, die von einer Eihaut umhüllt ist, so dass die Trennwand zwischen ihnen aus zwei Eihäuten, nämlich dem Amnion eines jeden Zwillings, besteht.
  3. Die monochorial-monoamniote Zwillingsschwangerschaft kommt bei ca. 1 von 100 Schwangerschaften mit eineiigen Zwillingen vor. Die Zwillinge teilen sich eine Plazenta und eine Fruchthöhle, sodass zwischen ihnen keine Trennwand aus Eihäuten besteht.
  4. Die monochorial-monoamniote siamesische Zwillingsschwangerschaft kommt bei ca. 1 von 300 Schwangerschaften mit eineiigen Zwillingen vor. Durch eine unvollständige Teilung des Embryoblasten sind die Kinder an ein oder mehreren Körperteilen zusammengewachsen. Die Zwillinge teilen sich eine Plazenta und natürlich aufgrund ihrer Fusion auch eine Fruchthöhle.

Ursachen

Ein fetofetales Transfusionssyndrom wird ausschließlich bei der zweiten Gruppe von Zwillingen beobachtet, den so genannten monochorialen-diamnioten Zwillingsschwangerschaften. Bei diesen kommt es in 85 bis 95 % der Fälle vor, dass sich im Mutterkuchen Blutgefäßanastomosen bilden, also Verbindungen zwischen zwei Arterien (= arterioarteriell), zwischen zwei Venen (= venovenös) oder zwischen einer Arterie und einer Vene (= arteriovenös). Man spricht in diesem Fall von einer Plazenta mit kommunizierenden Blutgefäßen. Es findet also eine wechselseitige Transfusion von Blut durch die Gefäßanastomose in der Plazenta statt. In der Mehrzahl der Fälle ist dieser Blutaustausch nicht gefährlich und hat darum medizinisch keine Relevanz, sondern kann vielmehr ob seines häufigen Auftretens als üblich angesehen werden, solange sich die Transfusionen die Waage halten. Gelangt durch atypische Verbindungen der Plazentakreisläufe (überwiegend arteriovenöse Blutgefäßanastomosen) der Zwillinge Blut ausschließlich aus dem Kreislauf des einen Kindes (Donor / Spenderzwilling) in den Kreislauf des anderen Kindes (Akzeptor / Empfängerzwilling) entsteht durch dieses Ungleichgewicht das fetofetale Transfusionssyndrom.

Häufigkeit

In etwa 10 bis 15 von 100 monochorialen Zwillingsschwangerschaften entwickelt sich ein medizinisch relevantes Ungleichgewicht im Blutaustausch. In einer großen bevölkerungsbezogenen kanadischen Studie waren das 48 von insgesamt 142 715 Geburten [1]. Auf die Bundesrepublik hochgerechnet wären jedes Jahr etwa 230 solcher Zwillingspaare zu erwarten.

Symptome

Beim FFTS findet ein in der Regel dauerhaft unausgewogener Blutaustausch zwischen den Zwillingen statt. Sehr selten kommt es vor, dass im Verlauf der Schwangerschaft ein Donor-Akzeptor-Wechsel eintritt. Die unüblich einseitige Bluttransfusion verursacht schwerwiegende Unregelmäßigkeiten.

Besonderheiten der Schwangerschaft

In der Frühschwangerschaft schwellen bei der Schwangeren die Hände und Füße. Die Gebärmutter (Uterus) wächst ungewöhnlich schnell zu einer übermäßigen Größe an. Die Plazenta zeigt Anzeichen einer Flüssigkeitseinlagerung (Hydrops), die sich teilweise auf die Akzeptorseite beschränken kann. Die Nabelschnur hat einen unterdurchschnittlichen Durchmesser. Auch die Schwangere hat eine unüblich rasche Gewichtzunahme. Bedingt durch die übermäßige Größenzunahme des Uterus, entwickeln sich ein Engegefühl oder sogar Schmerzen im Unterleib.

Symptome beim Akzeptor

Der Empfängerzwilling ist deutlich größer als der abgebende Zwilling (Donor). Durch eine gesteigerte Urinausscheidung (Diurese) bildet er vermehrt Fruchtwasser und entwickelt ein so genanntes Polyhydramnion. Dies führt zu einer Überdehnung der Gebärmutter und unbehandelt zu vorzeitiger Wehentätigkeit, vorzeitigem Platzen der Fruchtblase (Blasensprung) und dementsprechend einer Fehl- oder Frühgeburt. Wenn das Herz die zusätzliche Blutmenge nicht mehr adäquat pumpen kann, kommt es durch die Herzinsuffizienz zu einem Hydrops fetalis mit einer vergrößerten Nackentransparenz, Flüssigkeitsansammlung in der Bauchhöhle (Aszites), Ansammlung von Flüssigkeit im Brustfellraum (Pleuraerguss) und im Herzbeutel (Perikarderguss), Funktionsschwäche der AV-Klappen, Leber- und Milzvergrößerung (Hepatosplenomegalie) und ödematösen Veränderungen der Haut. Durch Herzversagen kann es auch zum vorgeburtlichen Tod kommen. Nach der Geburt weist der Akzeptor eine unüblich große Menge Blut auf (Plethora).

Symptome beim Donor

Der Spenderzwilling ist aufgrund einer Wachstumsverzögerung deutlich kleiner als der aufnehmende Zwilling. Durch eine verminderte oder gar aussetzende Urinausscheidung kommt es in seiner Fruchthöhle zu einer Verminderung des Fruchtwassers (Oligohydramnion) und in schweren Fällen zu einem völligen Fehlen des Fruchtwassers (Anhydramnion, „stuck twin“). Entsprechend ist die Harnblase mittels Ultraschall meistens nicht darstellbar. Die Nabelschnur weist unübliche Ansätze am Mutterkuchen auf. Beispielsweise inseriert sie am Rand der Chorionplatte (Insertio marginalis) oder gar an den Eihäuten (Insertio velamentosa). Durch Blutarmut (Anämie) und allgemeine Mangelversorgung bei zu kleinem Anteil am Mutterkuchen kann auch beim Donor ein vorgeburtlicher Tod eintreten. Nach der Geburt weist der Spenderzwilling immer eine Blutarmut mit einer Differenz der Hämoglobinkonzentration zum Empfängerzwilling auf.

Diagnose

Da sich ein FFTS so gut wie nie beim Vorliegen zweier Mutterkuchen entwickelt, muss für die Abschätzung des Risikos der Entwicklung eines FFTS und für eine eventuell später folgende Diagnosestellung gesichert sein, dass es sich um eine monochoriale Zwillingsschwangerschaft handelt, dass also nur eine Plazenta zur Versorgung der Kinder vorliegt. Die Überprüfung der Chorialität gelingt am besten im Zeitraum zwischen der neunten und zwölften Schwangerschaftswoche; auffällig ist hier vor allem die extrem dünne Trennwand zwischen den beiden Fruchthöhlen, die ja lediglich aus zwei Amnionhäuten besteht. Nach dieser Zeit ist die Bestimmung der Chorialität deutlich schwieriger, teils sogar nicht mehr möglich. Gilt eine Zwillingsschwangerschaft als monochorial, muss sie engmaschig mindestens alle drei Wochen mit Ultraschall (Sonografie) überwacht werden.

Die Diagnose wird dann aufgrund der sich oft rasch entwickelnden Differenzen von Kindgröße, Fruchtwassermenge und Hämoglobinkonzentration gestellt. Manche Autoren kritisieren, dass diese Symptome keineswegs beweisend für die Diagnose sind. Sie fordern den Nachweis eines unbalancierten Blutflusses in der Plazenta mittels Dopplersonografie [2].

Die Differentialdiagnose zur Plazentainsuffizienz (Leistungsschwäche des Mutterkuchens) muss abgeklärt werden. Hierbei wären die Zwillinge ebenfalls unterschiedlich groß, wobei sich jedoch beim größeren Kind keine unüblich starke Fruchtwasservermehrung (Polyhydramnion) zeigt (sofern diese nicht durch andere Ursachen begründet wäre).

Bei der Betreuung der werdenden Mutter wird bei den Diagnosen Fetofetales Transfusionssyndrom oder Fetomaternales Transfusionssyndrom oder Maternofetales Transfusionssyndrom der ICD-10-Code O43.0 angegeben.

Therapie

Bis heute gibt es keine Behandlungsmethode, die mit Gewissheit das Überleben der Zwillinge sichert und erst recht ist nicht garantiert, dass die Kinder durch die Folgen des FFTS oder die vor- und nachgeburtlichen Behandlung keine bleibenden Beeinträchtigungen davontragen.

Derzeit konkurrieren im wesentlich zwei Behandlungsverfahren miteinander. Zum einen werden Fruchtwasserentlastungspunktionen vorgenommen. In kurzen (tageweisen) Abständen wird durch eine Punktion der Fruchtblase des Akzeptors das überschüssige Fruchtwasser abgelassen. Hierdurch gelingt durch die Verminderung des Perfusionsdruckes auf die Plazenta die Absenkung des Risikos einer Fehlgeburt oder Frühgeburt auf ca. 50 %. Neuerdings wird in einigen Zentren die Durchtrennung der Gefäßanastomosen mittels Laser im Rahmen einer Fruchtblasenspiegelung (Fetoskopie) durch einen kleinen Schnitt in der Bauchdecke favorisiert. In verschiedenen Studien war bei dieser Behandlungsmethode bei vergleichbarer Sterblichkeit die Rate an bleibenden Folgeschäden deutlich geringer [2].

Grundsätzlich kann das fetofetale Transfusionssyndrom natürlich auch durch eine vorzeitige Geburtseinleitung beendet werden. Abhängig von der Schwangerschaftswoche (Gestationsalter) kann das Mittel der Wahl die Einleitung einer Geburt vor dem errechneten Entbindungstermin sein, damit die Zwillinge dem FFTS nicht länger ausgesetzt sind. Mit intensivmedizinischer Behandlung haben Babys heutzutage ab der etwa 22. Schwangerschaftswoche eine Überlebenschance, allerdings sind mit der Frühgeburt regelmäßig Risiken verbunden (erhöhte Sterblichkeit, bleibende Schädigungen), die es gegen die Risiken abzuwägen gilt, welche sich aus den Folgen des FFTS ergeben. Als medikamentöse Maßnahme im Rahmen einer Therapie in utero kann die Gabe von Digitalis helfen, einer beim Akzeptor zu erwartenden oder bereits bestehenden Herzinsuffizienz präventiv bzw. therapierend zu begegnen. In verzweifelten und schweren Fällen soll die gezielte Abtötung eines Zwillings (Selektiver Fetozid, in der Regel des Donors) die Überlebenschancen des anderen Kindes erhöhen. Bei besonders frühen und schweren Verläufen vor der 20. Schwangerschaftswoche kann auch ein Schwangerschaftsabbruch eine Option darstellen.

Prognose

Unbehandelt führt das fetofetale Transfusionssyndrom zu einer vorzeitigen Geburt und bedingt eine 100-prozentige Letalität [3]. Bei der am weitesten verbreiteten Behandlung durch Fruchtwasserentlastungspunktionen werden Überlebensraten von etwa 60 bis 80 % (bezogen auf alle Kinder) berichtet. Die Überlebensraten von Zwillingen, die mit einer Laserdurchtrennung der Gefäßverbindungen behandelt wurden, sind mittlerweile von anfangs etwa 50 % auf inzwischen auch 60 bis 70 % gestiegen. Nach der Geburt haben Zwillinge, die von einem fetofetalen Transfusionssyndrom betroffen waren, vermehrt organspezifische Störungen. Es treten beispielsweise vermehrt Nierenversagen und ein behandlungsbedürftiger zu niedriger Blutdruck (Hypotonie) auf. Diese Störungen sind aber vorübergehender Natur. Überlebende Kinder, die durch Fruchtwasserentlastungspunktionen behandelt wurden, haben mit einer großen Häufigkeit von etwa 15 % später eine bleibende Hirnschädigung in Form einer infantilen Zerebralparese. In einer Studie fanden sich darüber hinaus weitere 8 % mit einer allgemeinen Entwicklungsverzögerung. Demgegenüber werden von Kindern nach Behandlung durch Gefäßdurchtrennung nur etwa 5 % infantile Zerebralparesen berichtet [3].

Siehe auch

Zwillinge - Therapie in utero - Pränataldiagnostik - Sonografischer Softmarker - Schwangerschaftsabbruch

Literatur

  1. S. Lutfi et al.:Twin-Twin Transfusion Syndrome: A Population-Based Study. In: Obstetrics & Gynecology 2004;104:1289-1297 (Volltext online)
  2. a b F. Bahlmann: Fetofetales Transfusionssyndrom. Überwachung und Therapie. In: Der Gynäkologe 2004;37:725-736 ISSN 1433-0393 (Online)
  3. a b R. B. Cincotta et al.: Long term outcome of twin-twin transfusion syndrome. In: Arch Dis Child Fetal Neonatal 2000;83:171-176 (Volltext online)
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