Was passiert in den Geschmacksknospen der Zunge, wenn sie durch einen Schluck Zitronensaft stimuliert
werden? Keine leichte Frage, denn bisher konnte der Geschmacksinn im Gegensatz zum Sehen und Riechen
nur unvollständig aufgeklärt werden. Wissenschaftler des Forschungszentrums Jülich, der Saar-Universität
Homburg und des Instituts für Ernährungsforschung in Potsdam haben aber nun eine überraschende
Entdeckung gemacht: ein besonderer Ionenkanal in der Zellmembran, der normalerweise den Herzschlag
steuert und viele Gehirnfunktionen reguliert, ist in der Zunge für die Geschmacksempfindung "sauer"
verantwortlich.
Sie sorgen für Genuss oder Abneigung: die kleinen Geschmacksknospen auf der Zunge, die für die verschiedenen
Geschmacksrichtungen verantwortlich sind. Die Geschmacksknospen sind aus den Geschmackszellen aufgebaut, von
denen die meisten auf eine bestimmte Geschmacksrichtung spezialisiert sind. Wenn diese
Zellen zum Beispiel
Zuckerstoffe binden, wird die Nahrung als süß empfunden. Besitzen sie eine Bindungsstelle für
Glutamat, einen
Geschmacksstoff, der in Fleisch reichlich vorhanden ist, entsteht der Geschmackseindruck umami. Die
Geschmacksstoffe
lösen einen chemische Reiz aus, der in elektrische Erregung umgewandelt wird und dem Gehirn signalisiert: da schmeckt
etwas süß, sauer, salzig, bitter oder umami.
Die Wissenschaftler haben nun in einigen Geschmackszellen einen besonderen Ionenkanal gefunden, der auf saure Reize
reagiert.
Ionenkanäle sind Poren in der Zellmembran, die im geöffneten Zustand elektrisch geladene Teilchen - Ionen -
von einer Seite der Membran auf die andere fließen lassen.
Der Ionenkanal in der Zunge war den Forschern bisher nur aus Herz und Gehirn bekannt. Zellen, die über diesen Kanal
verfügen, sind rhythmisch aktiv und sorgen im Herzen für die Kontraktion des Herzmuskels. Deshalb werden sie auch
Schrittmacherkanäle genannt. Im Gehirn kontrolliert die rhythmische Aktivität von
Nervenzellen unter anderem den
Bewusstseins- bzw. Schlafzustand. "Wegen ihrer ungewöhnlichen Eigenschaften wurden diese Ionenkanäle auch als
,funny' bezeichnet", erklärt Ulrich Benjamin Kaupp, Leiter des Jülicher Instituts für Biologische Informationsverarbeitung
(IBI-1).
Die Jülicher Forscher sind den Schrittmacherkanälen schon lange auf der Spur. Sie entdeckten vor drei Jahren den
genetischen Bauplan dieser mikroskopisch kleinen Poren. Das gab ihnen die Möglichkeit, diese Ionenkanäle genau zu
untersuchen. Die Wissenschaftler reizten sie mit Protonen. Diese elektrisch geladenen Teilchen sind dafür verantwortlich,
dass die Zitrone sauer schmeckt. Aber auch in süß schmeckenden Getränken wie Coca-Cola oder Champagner sind die
Protonen in ähnlich hoher
Konzentration enthalten. Den Säuregrad
Messen die Forscher als
pH-Wert.
Bei niedrigen pH-Werten konnten die Wissenschaftler in den Geschmackszellen nun einen erhöhten Ionenstrom durch
den Schrittmacherkanal messen. Der Ionenkanal besitzt folglich Bindungsstellen für Protonen und dient deshalb als
Rezeptor. Bei hohen Protonenkonzentrationen öffnet er und lässt Ionen hindurch, wodurch sich die elektrische Spannung
an der Membran ändert.
Damit hat das Forscherteam den "Sauer-Geschmack" aufgeklärt und entdeckt, dass Schrittmacherkanäle auch
Protonen-gesteuert arbeiten. Bisher war nur bekannt, dass sich diese Ionenkanäle bei einer bestimmten Spannung öffnen
oder aber bei Ando-cken kleiner Botenstoffe in den Zellen.
Dieses Ergebnis ist auch für Mediziner und Pharmakologen interessant. Denn genaue Kenntnisse über diesen Ionenkanal
erlauben es, Substanzen zu entwickeln, welche die Schrittmacherfunktion gezielt beeinflussen können. Dieses Wissen
könnte zum Beispiel zur Behandlung von Herzrhythmusstörungen wichtig werden.