Jena (dpa) - Bei einer Blutvergiftung bleibt nicht viel Zeit. Wenn die Entzündung eines Organs über die Blutbahn auf andere Körperteile überzugreifen beginnt, kann das schon nach wenigen Stunden tödlich enden. Bis heute ist die zuverlässige Diagnose einer so genannten
Sepsis sehr schwierig. Die Symptome wie Herzrasen, schnelle Atmung und Fieber sind zu allgemein. Eine neuartige Technik könnte die Feststellung der Krankheit revolutionieren und die hohe Sterberate von fast 50 Prozent reduzieren. «Mit Hilfe von Biochips wollen wir Sepsis anhand der Aktivität von Genen innerhalb von Minuten diagnostizieren können», sagt Stefan Rußwurm, Geschäftsführer der Jenaer Firma
SIRS-Lab. Das Unternehmen ist eines von vielen in
Deutschland, die mit der neuen Biochip-Technologie schnelle Diagnosen ermöglichen wollen.
Vereinfacht ausgedrückt können Biochips einen einzigen Bluttropfen oder Mundabstrich gleichzeitig auf Tausende unterschiedliche Eigenschaften untersuchen. Auf einem Glasträger sind dafür winzige Punkte mit Erbsubstanz-Stücken aufgetragen. Reagiert ein Punkt mit der eingefärbten Erbsubstanz der menschlichen Probe, lässt sich das von einem Laserscanner einfach auslesen. Bei der Sepsis-Diagnose messen die Mediziner nicht die Erbsubstanz DNA direkt, sondern eine Kopie davon, die
RNA. Diese wird nur bei einem aktiven Gen produziert - das bedeutet nur dann, wenn der Körper ein in dem Gen gespeichertes gerade benötigtes Protein herstellt.
«Die technische Entwicklung ist sehr weit fortgeschritten», sagt Thomas Joos vom Naturwissenschaftlich-Medizinischen Institut an der
Universität Tübingen, das in ihrem «BioChipNet» alle Daten zu Biochips sammelt. «Seit der Genom-Sequenzierung ist die Erbsubstanz des Menschen bekannt und kann mit der Biochip-Technologie abgefragt werden», sagt Joos. «Inwieweit die DNA-Veränderungen aber Therapie- relevant sind, ist in vielen Fällen noch nicht klar.» Die Entwicklung vieler Diagnose-Verfahren stecke noch in den Kinderschuhen. Auch das Sepsis-Produkt von SirsLab soll frühestens 2006 auf den Markt kommen. «In den nächsten fünf Jahren sind nur wenige Markteinführungen diagnostischer Biochips zu erwarten», sagt Joos.
Eine der wenigen Firmen, die schon Produkte für Mediziner auf Biochipbasis verkaufen, ist der Schweizer Pharmakonzern
Roche. Seit Mitte vergangenen Jahres vertreibt der Konzern einen Chip des US- Marktführers
Affymetrix, der anhand einer Genanalyse die Verträglichkeit und Wirksamkeit von Medikamenten beim individuellen Patienten testet. Den Verkaufserfolg kommentiert die Firma noch nicht. «Roche prüft derzeit die Möglichkeiten zur Entwicklung von Biochips für den diagnostischen Gebrauch bei einer Reihe von Indikationen», sagt Firmensprecher Daniel Piller.
Wissenschaftler hoffen, der Behandlung von Herz-Kreislauf- Krankheiten und vor allem von
Krebs mit Hilfe von Biochips auf die Sprünge zu helfen. «Wenn man die RNA aus einer Tumorzelle extrahiert und untersucht, kann man feststellen, welche Gene gerade aktiv sind - und den Tumor dadurch verstehen», sagt Peter Lichter vom Deutschen Krebsforschungszentrum in Heidelberg.
Langfristig hofft Lichter sogar, mit den Chips Voraussagen für das persönliche Krebsrisiko eines Patienten treffen zu können. «Bei der Entstehung von Tumoren spielt die krankhafte Vervielfachung von Genen und damit der Produktion von bestimmten Proteinen eine wichtige Rolle», sagt Lichter. Mit Hilfe der Biochips könne die DNA eines Menschen schnell auf solche Muster hin analysiert und manche Erkrankung vermieden werden, beispielsweise indem eine Frau ein vorbeugendes Medikament gegen
Brustkrebs einnehme. «Ein Brustkrebs auslösendes Protein kann dann etwa mit einem bekannten
Antikörper bekämpft werden.»
Auch für Flugreisende ist die Technologie interessant: Mit einem von der Münsteraner Firma Ogham und der Jenaer Clondiag entwickelten Chip lässt sich schon heute ein persönliches Thrombose-Risiko abschätzen.