Künstliche Muskel-Folien trainieren Stammzellen zu Knochenzellen

Programmierbare Biomaterialien für die Knochenregeneration erforscht

15.01.2020 - Deutschland

Gezielt programmierte Materialien können Stammzellen unter bestimmten Bedingungen dazu anregen, sich in Knochenzellen umzuwandeln – das konnte ein deutsches Forschungsteam unter der Leitung des Helmholtz-Zentrums Geesthacht, Zentrum für Material- und Küstenforschung, nun zeigen. Die Wissenschaftler setzen dazu ein sogenanntes Formgedächtnis-Polymer in der Stammzellenforschung ein.

HZG/Xun Xu

Das Polymer kann bei einer programmierten Temperatur seine Form verändern. Die gezüchteten Stammzellen, die darauf wachsen, könnten vielleicht eines Tages die Heilung von schwer gebrochenen Knochen unterstützen.

Stammzellen können sich zu vielen verschiedenen Zelltypen entwickeln: Muskelzellen, Knorpel- oder Knochenzellen. Genau wie der Körper, zu dem sie gehören, spüren die Stammzellen, was um sie herum passiert und reagieren entsprechend. Seit Jahrzehnten versuchen die Forscher, diesen sogenannten Differenzierungsprozess zu verstehen und zu steuern, indem sie die Umgebung der Zellen verändern. Das gewonnene Wissen wird bereits im Bereich des Tissue Engineering genutzt, also zur Herstellung von Ersatzmaterialien, die geschädigtes biologisches Gewebe wiederherstellen oder erhalten können. Meist werden für die Forschung Experimente an statischen Aufbauten durchgeführt. Nun haben Forscher des Helmholtz-Zentrums Geesthacht (HZG), des Berlin-Brandenburgischen Zentrums für Regenerative Therapien, der Freien Universität Berlin und des Helmholtz Virtuellen Instituts - Multifunktionale Biomaterialien für die Medizin Versuche mit einer dynamischen Konstruktion durchgeführt.

Neue Methode entwickelt

Die Wissenschaftler verwandten für ihren innovativen Ansatz eine Polymerfolie im Sinne eines künstlichen Muskels: Die Folie besitzt die ungewöhnliche Eigenschaft, bei einer vorgegebenen Temperaturänderung die Form reversibel zu verändern. Die Forscher erzeugten eine solche Polymerfolie mit einem Gitter auf der Unterseite und programmierten sie so, dass sie bei einer Temperaturänderung auch ihre Form verändert: Bei Abkühlung von Körpertemperatur, also 37 Grad Celsius, auf 10 Grad Celsius dehnt sie sich. Bei erneuter Erwärmung zieht sich die Folie zusammen. Anschließend wurden die Muskelfolien mit Stammzellen besiedelt und die sich verändernde Form des Gitternetzes auf der Unterseite der Folie und der Zellen beobachtet. Mithilfe dieser programmierten Muskelfolie konnten die Wissenschaftler ein physikalisches Signal, die Temperaturänderung, nutzen, um ein weiteres mechanisches Signal gleichzeitig an die Stammzellen zu senden. Durch diese Synchronisation ist es gelungen, die Stammzellen anzuregen, sich zu Knochenzellen zu entwickeln.

„Die Polymerfolie hat ein sogenanntes Formgedächtnis. In unseren Experimenten wirkt sie wie ein Übermittler, mit dem wir die Zellen effektiv anweisen können, das zu tun, was wir wollen. Wir haben herausgefunden, dass die Temperaturänderungen in Kombination mit der wiederholten Dehnungsbewegung der Folie ausreicht, um die Stammzellen zur Differenzierung in Knochenzellen anzuregen – im Gegensatz zu den Zellen, die auf einer unprogrammierten Folie wachsen“, erklärt Professor Andreas Lendlein, Co-Autor der Studie und Leiter der HZG-Instituts für Biomaterialforschung in Teltow.

Möglicher Einsatz bei komplizierten Knochendefekten

„Die programmierten Folien aus Polymer könnten später beispielsweise bei komplizierten Knochenbrüchen eingesetzt werden, bei denen sich der Knochen nicht von selbst wieder heilen kann. Stammzellen aus dem Knochenmark des Patienten könnten auf die präparierte Folie aufgetragen werden, die sich bei einer Operation adaptiv um den gebrochenen Knochen legt. Die zuvor ‚trainierten‘ Zellen können dann gezielt den Knochen stärken“, so Professor Lendlein. Angesichts der kürzlich in New Scientist berichteten erfolgreichen Operation bei 10 Grad Celsius, die an der University of Maryland School of Medicine durchgeführt wurde, könnten solche medizinischen Implantate ein weiteres Instrument im Werkzeugkasten der Chirurgen werden.

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