Cytoglobin und Neuroglobin: Neuartige Proteine versorgen menschlische Zellen mit Sauerstoff

09.04.2002
(Mainz, 8. April 2002) Ohne ihn geht (fast) nichts: Sauerstoff ist der "Treibstoff" aller Lebensvorgänge in höheren Lebewesen. Sauerstoffmangel führt bekannter weise sehr schnell zur irreparablen Schädigung zum Beispiel von Nervenzellen. Es ist daher nicht überraschend, dass die meisten Tiere spezielle sauerstoffbindende Proteine besitzen (Globine), die den Sauerstoff aus der Lunge zu den Organen transportieren und in besonders aktiven Geweben auch dort speichern. Gemäß ihrer enormen physiologischen Bedeutung zählen das sauerstofftransportierende Hämoglobin im Blut und das sauerstoffspeichernde Myoglobin im Muskel zu den am besten erforschten Proteinen überhaupt. Umso verwunderlicher mutet es an, dass man die Suche nach weiteren, spezialisierten Globinen in anderen Geweben lange vernachlässigt hat. Doch gerade hier beginnt nun die Entschlüsselung der menschlichen Erbinformation Früchte zu tragen: In der April-Ausgabe der Fachzeitschrift "molecular biology and Evolution" (Mol Biol. Evol. 19, S. 416- 421) berichtet ein Forscher-Team der Universität Mainz um den Zoologen Thorsten Burmester und den Molekulargenetiker Thomas Hankeln, dass unerwarteter weise wohl alle (!) Gewebe des Menschen ein neuartiges sauerstoffbindendes Eiweiß, Cytoglobin genannt, besitzen. Die Autoren konnten die Erbinformation für das neue Globin kürzlich durch verfeinerte Suchen in Sequenzdatenbanken des Humangenoms identifizieren. Das Cytoglobin ist dabei ca. 40 Aminosäure-Bausteine länger als die bekannten Hämo- und Myoglobine. Es wird deshalb vermutet, dass Cytoglobin neben einer Sauerstoffspeicherung noch weitere Funktionen wahrnimmt, wie z. B. die Messung des zellinternen Sauerstoffgehalts oder eine Entgiftung von Zellen. Ein Genstammbaum zeigt, dass Cytoglobin am nächsten mit dem Myoglobin des Muskels verwandt ist. Es scheint sogar, dass eben dieses altbekannte Myoglobin wohl während der Evolution die muskelspezifische Variante des Cytoglobins geworden ist. Doch was ist mit dem Organ, das neben dem Muskel den höchsten Sauerstoffbedarf hat und auf Sauerstoffmangel äußerst empfindlich reagiert? Unser Gehirn beansprucht immerhin 20 % des verfügbaren Sauerstoffs, obgleich es nur 2% unseres Körpergewichts einnimmt. In der Tat konnten Burmester und Hankeln erst kürzlich zeigen, dass das Gehirn des Menschen (und vermutlich aller Wirbeltiere) eine weiteres spezielles und bislang unentdecktes Globin besitzt, das Neuroglobin (Nature 407, 520-523). Neuroglobin ist ein stammesgeschichtlich sehr altes Protein, das möglicherweise parallel zur Entstehung des Nervensystems der Tiere selbst von der Evolution entwickelt wurde. Das Neuroglobin bindet den Sauerstoff mit hoher Affinität und speichert ihn vermutlich für Zeiten eines Mangels. Daten einer amerikanischen Arbeitsgruppe bestätigen dies (Proc. Natl. Acad. Sci. USA 98, 15306-15311) und zeigen, dass Neuroglobin die Nervenzellen vor Schädigung bei Sauerstoffmangel schützen kann. Verständlich daher, dass die neu entdeckten Globine auch für medizinische Anwendungen sehr interessant erscheinen und uns helfen, die Versorgung von Zellen mit Sauerstoff besser zu verstehen.

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