Bio-Chips für die Wundheilung

08.05.2017 - Österreich

Vorsichtig hält Professor Peter Ertl den winzigen Bio-Chip zwischen zwei Fingern, den er an der TU Wien entwickelt hat. Die integrierten Strukturen, so unscheinbar sie auch wirken, können künftig Messdaten ermitteln, für die bisher ein Labor mit hochqualifiziertem Personal benötigt wird. Dadurch werden medizinische Untersuchungsergebnisse billiger und rascher verfügbar – ein entscheidender Schritt in Richtung individualisierte Medizin. Bei der internationalen Biotechnik- und Labormesse „Labvolution“ in Hannover stellt das Team der TU Wien nun einen Chip vor, mit dem man Wundheilung gezielt untersuchen kann.

Copyright: TU Wien

Winzige Löcher werden in Zellrasen gestanzt, um Wundheilung zu untersuchen.

Einfacher, schneller, billiger – „Size matters“

„Oft verlässt man sich in der Medizin auf Prognosen, die bloß auf Mittelwerten beruhen“, sagt Peter Ertl. „Doch eigentlich wären individualisierte Ansätze wichtig, die spezielle körperliche und molekulare Eigenheiten der betroffenen Einzelperson berücksichtigen.“

Wertvolle Erkenntnisse kann man dadurch gewinnen, dass man für die Diagnose Zellen einer Person entnimmt und in einer konventionellen Zellkultur vermehrt, bevor man dann Analysen durchführen kann. Die CellChipGroup an der TU Wien entwickelt miniaturisierte Systeme, die dieses Verfahren nicht nur einfacher und billiger machen, sondern obendrein auch noch physiologisch genauere Ergebnisse liefert. Mit Hilfe kleinster Kanäle - sogenannter Mikrofluidik – werden die wichtigsten biologischen Bedingungen wie Temperatur, Druck und Flussraten nachgeahmt, um den am Chip lebenden Zellen eine möglichst realitätsnahe Umgebung zu bieten.

Mit diesen Zellen lassen sich dann mechanische Belastungen und Verletzungen simulieren, die am Chip mit Hilfe integrierter Aktuatoren naturgetreu nachgestellt werden. Diese revolutionäre Technologie ermöglicht, Heilungsverläufe verlässlich und genau zu untersuchen.

So entwickelte die CellChipGroup ein miniaturisiertes Wundheilungssystem, um individualisierte Erkenntnisse über die Wirksamkeit bzw. Nebenwirkungen von Medikamenten zu erhalten. Direkt im Chip entsteht ein sogenannter Zellrasen, dem auf genau kontrollierte, standardisierte und reproduzierbare Weise kleine Wunden zugefügt werden – ähnlich wie im realen Leben. Pneumatisch bewegte Membranen stanzen kleine runde Löcher in den gesunden Zellrasen, mit genau definiertem Durchmesser und hoher Präzision. Nicht nur die Verwundungsprozesse selbst kann man am Bio-Chip untersuchen, man kann auch genau studieren, wie sich die Wunde von selbst wieder schließt, wie sich die Migrationsrate von Zellen verhält und vor allem welche Medikamente die Wundheilung verbessern und beschleunigen.

„In der medizinischen Forschung ist das zur Zeit eine klassische Standardaufgabe.“, sagt Peter Ertl. „Bisher hatte man dabei mit mangelnder Reproduzierbarkeit zu kämpfen. Mit unserem Bio-Chip ist es nun ganz einfach, immer wieder genau identische Tests durchzuführen, sodass sich die Ergebnisse direkt vergleichen lassen.“

Rapid Prototyping für die Medizin

Entscheidend bei der Entwicklung solcher Bio-Chips ist Erfahrung mit komplexen biologischen Themen und technisches Know-How im Bereich der Mikrofabrikation. „Wenn wir von einem ‚Lab on a Chip‘ sprechen, haben wir es höchstens mit Flüssigkeitsmengen im Mikroliter-Bereich zu tun“, sagt Peter Ertl. „Das physikalische Verhalten dieser Flüssigkeiten ist ganz anders, als wir es aus Anwendungen im Alltag gewohnt sind.“

Die CellChipGroup der TU Wien beschäftigt sich neben Mikrofluidik auch noch mit zahlreichen anderen Technologien, die im Bereich „Lab on a Chip“ unverzichtbar sind - etwa Lithographie, Gusstechnik, Heißprägung und Mikrospritzguss. Zahlreiche Bio-Chips aus verschiedenen Polymeren oder aus Glas-Polymer-Hybridmaterialien werden an der TU Wien hergestellt. „Nachdem wir in unserem Labor ganz unterschiedliche wissenschaftliche Bereiche verbinden und langjährige praktische Erfahrung haben, können wir den gesamten Weg von der initialen Idee eines Firmenpartners bis zum funktionsfähigen Prototyp selbst umsetzen – und zwar innerhalb weniger Tage und Wochen. Das ist ‘Rapid Prototyping‘ für die Biomedizin.“, sagt Peter Ertl.

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