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Arthur Kronfeld



Arthur Kronfeld (* 9. Januar 1886 in Berlin; † 16. Oktober 1941 in Moskau) war ein deutscher Psychiater.

Als Psychotherapeut und Psychologe, Sexualwissenschaftler und Wissenschaftstheoretiker, aber auch politisch engagierter Arzt war Arthur Kronfeld ein ungewöhnlich breit gebildeter und weit engagierter jüdischer Wissenschaftler mit gründlicher philosophischer Schulung und künstlerischen Neigungen, Dr.med. et phil., Professor an der Charité der Friedrich-Wilhelms-Universität in Berlin und am „Neuropsychiatrischen Forschungsinstitut Gannuschkin“, dem heutigen Forschungsinstitut für Psychiatrie in Moskau, wo er unter ungeklärten Umständen durch gemeinsamen Suizid mit seiner Frau aus dem Leben schied.

Inhaltsverzeichnis

Leben

1886 – 1904: Kindheit und Jugend

Geboren wurde Arthur Kronfeld als erstes von vier Kindern des Rechtsanwalts Dr.jur. Salomon, gen. Sally Kronfeld aus Thorn, Sohn eines jüdischen Kantors, Königlicher Justizrat in Berlin seit 1884, und seiner Frau Laura, Tochter des Kölner Kommerzienrats und Stadtverordneten Benjamin Liebmann. Zu Elternhaus, Kindheit und Jugend ist wenig bekannt. – Seine 1904 geborene Schwester Minnie erlangte unter ihrem späteren Namen Minnie Maria Dronke in ihrem Exil in Neuseeland einige Bekanntheit.

1904 – 1909: Studienzeit

1904 Primus des Sophiengymnasiums in Berlin-Mitte; erste bekannte Publikation Goethe und Haeckel zum 70. Geburtstag des zweiten und Beginn einer langjährigen Freundschaft mit dem damaligen Jurastudenten und späteren Schriftsteller Kurt Hiller, dem Pionier des Literarischen Expressionismus.

Medizinstudium in Jena, München, Berlin (über sein erstes, 1906 publiziertes und Ernst Haeckel gewidmetes Buch mit einer evolutionstheoretischen Abhandlung über Sexualität und ästhetisches Empfinden früher Kontakt mit Magnus Hirschfeld; ab 1907 lebenslange Freundschaft mit dem aus Berlin stammenden Philosophen Leonard Nelson mit intensivem Engagement in dessen Kreis, der auch von Göttinger Mathematikern wie Carl Runge, Ernst Zermelo, Felix Klein und Hermann Minkowski, vor allem aber von David Hilbert geschätzten „Neuen Fries'schen Schule“ und daraus erwachsenen „Jakob Friedrich Fries Gesellschaft“ – in dieser vor dem Ersten Weltkrieg stellvertretender Vorsitzender und Schriftführer – mit Alexander Rüstow, Arnold und Bertha Gysin, Carl Brinkmann, Ernst Blumenthal, Franz Oppenheimer, Gerhard Hessenberg, Hans Mühlenstein und Rademacher, Heinrich Goesch, Iris Runge, Karl Kaiser, Kurt Grelling, Ludwig Ruben, Marcel T. Djuvara, Max Born, Michael Kowalewsky, Otto Apelt, Paul Bernays, Richard Courant, Rudolf Otto, Walter Ackermann, Alleweldt, Baade und Dubislav sowie vieler anderer, in der K. vor allem seinen zwei Jahre älteren Kommilitonen und späteren Nobelpreisträger Otto Meyerhof kennen- und schätzen lernte; später auch Mitglied in der von Nelson 1918 neben dem Internationalen Sozialistischen Jungendbund (IJB) gegründeten „Gesellschaft der Freunde der Philosophisch-Politische Akademie“, die ihrerseits Trägerin des 1924 eröffneten Landerziehungsheims „Walkemühle“ war, mit Kontakten bis in den 1926 gegründeten „Internationalen Sozialistischen Kampfbund“ (ISK) und den weiteren Umkreis Nelsons mit Erna Blencke, Georges Schaltenbrand, Grete Henry-Herrmann, Gustav Heckmann, Heinrich Düker, Julius Kraft, Mary Saran, Max Hodann, Minna Specht, Otto Lowenstein, Willi Eichler u.a.), Abschluss des Studiums 1908 in Heidelberg, wo er u.a. Viktor von Weizsäcker kennen lernte, den er mit Meyerhof und wahrscheinlich auch mit den Schriften von Sigmund Freud bekannt machte, und medizinisches Staatsexamen dort 1909.

1909 – 1919: Erste Bewährungen

Feuerwerk in Heidelberg

Fachausbildung als Medizinalpraktikant am Berliner Städtischen Krankenhauses Moabit unter Georg Klemperer und an der Großherzoglichen Psychiatrischen Universitätsklinik Heidelberg unter Franz Nissl; von diesem fast auf den Tag genau ein Jahr nach Karl Jaspers am 7. Dezember 1909, eine Woche nach seinem Freund Meyerhof, der den dritten Teil Zur Psychologie des Wahns seines Buches »Beiträge zur psychologischen Theorie der Geistesstörungen« als Dissertation vorgelegt hatte, mit einer bei Emil Freiherr von Dungern am Krebsforschungsinstitut Heidelberg unter Vincenz Czerny durchgeführten Studie zur 1906 von August von Wassermann entwickelten und nach ihm benannten serologischen Reaktion auch promoviert und zum 1. Juni 1910 als zunächst etatmäßiger Assistent angestellt, nach Ableistung seines Militärdiensts 1911/12 u.a. bei den Gardekürassieren in Berlin als Volontärsassistent tätig – zusammen mit Karl Wilmanns, Hans Walter Gruhle, August Homburger, Otto Ranke, Albrecht Wetzel sowie Martin Pappenheim und Karl Jaspers, wobei er sich zusammen mit Jaspers, Gruhle sowie Meyerhof und dessen Freund Otto Warburg, unter Teilnahme des damaligen Medizinstudenten Wladimir Eliasberg zunächst der Analyse der »psychologischen Theorien Freud's und verwandter Anschauungen« widmete, deren sogar in den USA dann registrierte Ergebnisse er bereits Ende 1911 publizieren und 1913 auch in einer russischen Übersetzung in Moskau herausbringen konnte. 1912 weitere Promotion zum Dr.phil. mit einer als Student in Berlin bei Theodor Ziehen schon begonnenen experimentalpsychologischen Assoziationsstudie zum Mechanismus der Auffassung bei dem Philosophen August Messer in Gießen.

Während der Heidelberger Jahre auch kurzzeitig intensiveres Engagement im Rahmen des literarischen Frühexpressionismus mit Gedichten, Essays und Buchbesprechungen in Die Aktion von Franz Pfemfert, Der Sturm von Herwarth Walden, Saturn von Hermann Meister und Herbert Grossberger, Der Kondor von Kurt Hiller und Die Argonauten von Ernst Blass; über Hiller und seinen Berliner Neuen Club auch bekannt oder befreundet mit Georg Heym, Jakob van Hoddis (Begutachtung 1912), Erwin Loewenson (Golo Gangi), David Baumgardt, Friedrich Schulze-Maizier, mit Alexandra Ramm-Pfemfert und Else Lasker-Schüler sowie mit Max Scheler und Otto Buek, in Heidelberg mit Gustav Radbruch, Jacob Picard und Friedrich Burschell wie auch wohl mit Kurt Wildhagen, dem Bruder von Fritz Wildhagen; 1911 Mitarbeit an der Beilage zur Heidelberger Zeitung Literatur und Wissenschaft u.a. mit einer Rezension der Antrittsvorlesung von Friedrich Gundolf über Hölderlin; Freundschaft mit dem Sohn von König Chulalongkorn von Thailand, dem mit einer Heidelbergerin im August 1912 verheirateten Philosophiestudenten Prinz Rangsit von Chainad sowie eigene Verlobung mit Sophie Rittenberg aus Warschau im August 1913.

Zum Herbst 1913 Wechsel nach Berlin an die Städtische Irrenanstalt Wittenau (Humboldt-Klinikum, ehem. Karl-Bonhoeffer-Nervenklinik) zu Hugo Liepmann mit Ausweitung und Intensivierung seiner wissenschaftstheoretischen Studien über die psychologischen Grundlagen der psychischen Heilkunde und internationaler Publikationstätigkeit.

Kriegsfeuer

Im Ersten Weltkrieg Frontarzt u.a. vor Verdun und Douaumont, mehrfach ausgezeichnet; nach einer Kopfverletzung 1917 Versetzung nach Freiburg i.Br. in das Kriegslazarett der Armeeabteilung B zum Aufbau einer Nervenstation sowie 1918 auch einer Fliegeruntersuchungskommission zur Durchführung flugpsychologischer Untersuchungen. In dieser Zeit Verheiratung mit der aus Berlin stammenden Stenotypistin Lydia Quien. Im November 1918 prominente Rolle im Freiburger Arbeiter- und Soldatenrat, Gründung einer Akademikergewerkschaft und am 11. November geistig führender Abgeordneter im Badischen Landesausschuss in Karlsruhe bei der Proklamation der neuen Volksregierung.

1919 – 1933: Die Erfolge in Berlin

Am Institut für Sexualwissenschaft

Nach kurzer Tätigkeit noch einmal bei dem jetzt an der Städtischen Irrenanstalt Herzberge in Berlin-Lichtenberg[1] tätigen Liepmann Mitbegründer und Organisator des am 6. Juli eröffneten Instituts für Sexualwissenschaft von Magnus Hirschfeld mit Friedrich Wertheim sowie später auch August Bessunger und Hans Friedenthal, an dem auch Carl Müller-Braunschweig, Arthur Weil, Bernhard Schapiro, Franz Prange, Ludwig Levy-Lenz, Max Hodann, Ferdinand Freiherr von Reitzenstein, Kurt Hiller u.a. tätig waren. Während siebenjähriger Tätigkeit dort engagierter Einsatz für die Neue Richtung genannte psychologisch-psychotherapeutisch orientierte Bewegung in der gesamten damaligen Medizin mit intensiver Publikations-, Lehr- und Herausgebertätigkeit (1920 das wissenschaftstheoretische Grundlagenwerk Das Wesen der psychiatrischen Erkenntnis, 1924 das Lehrbuch Psychotherapie, ab 1922 die Reihe Kleine Schriften zur Seelenforschung, die 1928 kurzzeitig von Carl Schneider weitergeführt wurde, mit Autoren wie Theodor Friedrichs, Wilhelm Haas, Walter Lurje, Carl Bruck, Emerich Décsi, Kurt Singer, Gaston Roffenstein, ehem. Rosenstein, Sydney Alrutz, Kurt Hillebrandt, Werner Achelis, Alexander Herzberg und Georg Graf von Arco) sowie organisatorischer Mitarbeit in zahlreichen ärztlichen Vereinigungen, ab 1923 besonders in der Berliner Ärztlichen Gesellschaft für Parapsychische Forschung, in deren engeren Kreis K. 1930 in Anwesenheit von u.a. W. Achelis, Otto Fanta und Albert Einstein „mit Gattin und einer weiteren Verwandten“ zur Testung des Metagraphologen Otto Reimann beitrug, während er 1931 neben erwähntem Carl Bruck als „wissenschaftlicher Beirat“ bei den Testung des angeblichen „Hellsehers“ Hermann Steinschneider, genannt „Hanussen“ teilnahm. Daneben auch persönliche Zusammenarbeit mit zahlreichen Kollegen wie Alfred Storch, Edith Jacobson (Jacobssohn), Ernst Kretschmer, Karl Birnbaum, Ludwig Binswanger, Siegfried Bernfeld, Victor Emil Freiherr von Gebsattel, Walter Schindler, und Schülern wie Erich Sternberg, Franz Baumeyer und Karl Balthasar.

Wissenschaftliche Anerkennung

1926 Niederlassung in eigener Praxis im Bereich des südlichen Tiergartens und Habilitation für Psychiatrie und Nervenheilkunde bei Karl Bonhoeffer mit einer Arbeit über die fundamentale Rolle der Psychologie in der Psychiatrie, so dass K. 1927 als „Vermittler einer Anschauungsweise, die nicht mehr ignoriert werden darf“ (Gustav von Bergmann in seinem Habilitationsgutachten) der erste, wegen seiner psychotherapeutischen Qualifikation bestallte Dozent der Charité und damit in Deutschland wurde, als der er 1929 zum evangelischen Glauben konvertierte, 1930 sein ihm selbst wichtigstes Lehrbuch zu den Perspektiven der Seelenheilkunde veröffentlichte, 1931 zum n.b. a.o. Professor ernannt wurde und 1932 noch sein Lehrbuch der Charakterkunde herausbringen konnte.

Parallel dazu unter Federführung von Wladimir Eliasberg beteiligt an der Vorbereitung und Durchführung der ab 1926 jährlich durchgeführten „Allgemeinen Ärztlichen Kongresse für Psychotherapie“ sowie Gründung der „Allgemeinen Ärztlichen Gesellschaft für Psychotherapie“ am 1. Dezember 1927 und ihrer Berliner Ortsgruppe mit Alfred Döblin, Johannes Heinrich Schultz, Karen Horney, Erwin Straus, Fritz Künkel, Max Levy-Suhl und Max Grünthal, Walter Schindler u.a., ab 1928 auch im Vorstand der AÄGP und im Beirat ihrer Verbandszeitschrift sowie dann ab 1930 nach deren Umbenennung zum Zentralblatt für Psychotherapie mit J.H.Schultz und Rudolf Allers vor allem in deren Schriftleitung; daneben und zusätzlich zur Zusammenarbeit mit der Geschäftsführerin des Archivs für Wohlfahrtspflege Siddy Wronsky auch Vorsitzender des Spitzenverbandes der beiden, von F. Künkel resp. Manès Sperber geführten Sektionen der Berliner Ortsgruppe der „Internationalen Vereinigung für Individualpsychologie“ (IVIP, IAIP) von Alfred Adler und Organisation des „V. Internationalen Kongresses für Individualpsychologie“ im Berliner Rathaus sowie zusätzlich Mitarbeit bei der Vorbereitung der „Internationalen Hygiene-Ausstellung“ in Dresden 1930/31.

Politik

1931 Kandidatur zur Berliner Ärztekammer als (seit 1926) Mitglied des Vereins sozialistischer Ärzte mit Alfred Döblin, Ernst Simmel, Max Hodann, Ernst Haase, Bruno Cohn, Minna Flake, Karl Löwenthal, Günther Wolf, Annemarie Bieber, I. Klauber und I. Wendriner (nach Unterlagen aus dem Dritten Reich auch SPD-Mitglied). Im Oktober Übernahme der psychotherapeutischen Behandlung von Sina L. Wolkowa, der ältesten Tochter von Leo Trotzki – dargestellt in dem 1985 von Ken McMullen gedrehten Film ZINA – während der Behandlung ihrer Lungentuberkulose in Berlin durch den Pulmologen Wilhelm May (Ernst Mai?).

1932 gutachterlicher Zeuge im Verleumdungsprozess Adolf Hitler gegen Werner Abel in München, Unterzeichnung des von vielen Persönlichkeiten wie Albert Einstein, Anton Erkelenz, Arnold Zweig, Emil Julius Gumbel, Erich Kästner und Erich Zeigner, Ernst Toller, Franz Oppenheimer, Hanns-Erich Kaminski, Heinrich Mann, Helene Stöcker, Karl und Käthe Kollwitz, Kurt Großmann, Maria Hodann, Minna Specht, Otto Lehrmann-Rußbült, Kurt Großmann, Pietro Nenni, Theodor Hartwig und Theodor Plivier, Vitus Heller, Walter Hammer, Willi Eichler u.a. mitgetragenen Dringenden Appell des „Internationalen Sozialistischen Kampfbundes“ von L. Nelson zum „Aufbau einer einheitlichen Arbeiterfront“ gegen „die Vernichtung aller persönlichen und politischen Freiheiten“ durch die Nationalsozialisten, und Übernahme eines der Hauptreferate über Die Bedeutung Kierkegaards auf dem „X. Internationalen Kongress für Psychologie“ in Kopenhagen.

1933 – 1941: Unterdrückung und Exil (Schweiz, UdSSR)

Der systematischen Ausschaltung aller jüdischen Stimmen aus dem öffentlichen Geistesleben in Deutschland durch die nationalsozialistische Regierung ab 1933 (vgl. »Machtergreifung und Gleichschaltung« in Zeit des Nationalsozialismus) versuchte Kronfeld auf seine Weise dadurch entgegen zu wirken, dass er in Zusammenarbeit mit Wilhelm Stekel in Wien mit der Herausgabe der Zeitschrift Psychotherapeutische Praxis eine Alternative zu dem unter der Schirmherrschaft von Carl Gustav Jung von »deutschen Psychotherapeuten« beherrschten Zentralblatt für Psychotherapie etablierte. Unterstützt wurde er dabei von namhaften Vertretern der psychischen Heilkunde aus ganz Europa – zuletzt von Oskar Forel, Prangins, Walter Morgenthaler, Bern und John Eugen Staehelin, Basel »für die Schweiz«, sodann »für die nordischen Länder« von Poul Bjerre, Stockholm, Schweden, Oluf Brüel, Kopenhagen, Dänemark und Helgi Tomasson, Reykjavík, Island, »für Holland« von L. van der Horst, Amsterdam, »für Rumänien« von Eugeniu Sperantia, Cluj sowie »für Russland« von J. E. Galant, Leningrad und N. P. Bruchanski, Moskau.

1935 entschloss Kronfeld sich mit seiner Frau jedoch zur Emigration, nachdem ihm auch noch die Lehrbefugnis an der Berliner Universität entzogen worden war. Er konnte mit seinem gesamten Hausstand, zu der eine schon wegen ihres Umfangs wertvolle Fachbibliothek gehörte, in die Schweiz übersiedeln, wo er an dem damals bekannten Privatsanatorium Les Rives de Prangins von O. Forel kurzzeitig Anstellung fand. 1936 nahm er unter dem Druck eines Ausweisungsultimatums der Schweizer Behörden einen Ruf an das Neuropsychiatrische Wissenschaftliche Zentralinstitut für Fortbildung in Moskau an, bei dessen Zustandekommen sein ehemaliger Berliner Schüler Erich Sternberg in Moskau und in der Schweiz Sergius Begotzki (Bagocki) als dortiger Vertreter der UdSSR vermittelt hatten. Am Neuropsychiatrischen Forschungsinstitut Pjotr B. Gannuschkin wurde Kronfeld Leiter der Abteilung für experimentelle Therapie, in der er die in der Schweiz bei Max Müller erlernte Insulinschocktherapie als versuchsweise Behandlungsmethode von Schizophrenen einführte.

1937 erhielt er zusammen mit seiner Frau die sowjetische Staatsbürgerschaft, einem Jahr, in dem in Deutschland die Gestapo dafür sorgte, dass ihm – mit der Begründung, er sei als Jude »staatsfeindlich eingestellt« und habe überdies von der Schweiz aus versucht, mit der Ausstellung von Rezepten an zwei ehemalige Berliner Patienten die »Opiumsucht in Deutschland zu vergrößern und dadurch das deutsche Volk zu schädigen« – »im Einvernehmen mit der Reichsärztekammer« einerseits die Approbation entzogen und ihm andererseits von der Medizinischen Fakultät in Heidelberg sein medizinischer Doktorgrad aberkannt wurde. Bald begann er auch auf Russisch wieder zu publizieren und Vorlesungen zu halten, bevor er 1939 zum Direktor der Abteilung für experimentelle Pathologie und Therapie der Psychosen ernannt wurde.

Nach dem Überfall Hitlers auf die Sowjetunion wurde Kronfeld 1941 ein letztes Mal politisch aktiv: in Radiosendungen, auf der antifaschistischen Versammlung von zweitausend sowjetischen Wissenschaftlern am 12. Oktober 1941 in Moskau mit ihrem weltweiten Aufruf »an die Wissenschaftler und Kopfarbeiter der gesamten Welt« zum »Kampf gegen die Hitlerdiktatur, dem verschworenen Feind aller Kultur und Wissenschaft« und mit einer – ursprünglich möglicherweise für das ZK der KPdSU verfassten – Politbroschüre, in der er prominente Nazigrößen als »Degenerierte« darstellte und mit Nennung von Namen auch intime Details über Adolf Hitler und seine Entourage enthüllte (s. Lothar Machtan: Hitlers Geheimnis - Das Doppelleben eines Diktators. Fischer, Frankfurt 2003, S. 405).

Vielleicht war es eine Fehleinschätzung der Lage angesichts der zunächst überwältigend erfolgreichen deutschen Herbstoffensive gegen Moskau, oder eine Reaktion auf die vom Volkskommissariat für Gesundheit erlassenen Anordnung, gemäß der er sich dem Chefarzt des Psychiatrischen Krankenhauses in Tomsk hätte »zur Verfügung stellen« sollen: am 16. Oktober 1941, einem für Moskau denkwürdigen Tag, entschloss er sich, mit seiner Frau zum gemeinsamen Suizid durch Einnahme einer großen Dosis Veronal, deren Folgen nach Entdeckung durch den Direktor des Instituts Andrei Wladimirowitsch Sneschnewski nicht mehr rückgängig zu machen waren.

Kronfelds publizierter »Nachlass« umfasst rund 200 Facharbeiten und weit über 500 Rezensionen; sein persönlicher dürfte verschollen sein. Seine umfangreiche Privatbibliothek, die er nach Moskau hatte mitnehmen können, soll in den Jahren nach dem Zusammenbruch der UdSSR bei einem Umzug der Institutsbibliothek, in die sie integriert worden war, zum erheblichen Teil "verloren gegangen sein".

In Russland gilt er als Klassiker der Psychiatrie. Nachdem hier schon 1993 seine Schrift Degenerierte an der Macht nachgedruckt und 2001-2002 seine Habilitationsschrift Die Psychologie in der Psychiatrie - Eine Einführung in die psychologischen Erkenntnisweisen innerhalb der Psychiatrie und ihre Stellung zur klinisch-pathologischen Forschung in einem Fachjournal übersetzt worden war, wurden zu seinem 120. Geburtstag im Jahre 2006 auch noch die wesentlichen auf russisch verfasste Publikationen von ihm aus den Jahren 1935-1940 in einer teilweise zweisprachigen Buchausgabe im Moskauer Verlag Klass neu herausgegeben.

Publikationen

Bücher

  • 1906 Sexualität und ästhetisches Empfinden in ihrem genetischen Zusammenhang – Eine Studie. Singer, Straßburg und Leipzig (Verlag von Josef Singer, Hofbuchhandlung)
  • 1912 Über die psychologischen Theorien Freuds und verwandte Anschauungen – Systematik und kritische Erörterung. Engelmann, Leipzig (Extradruck; Übers.: Moskau 1913)
  • 1920 Das Wesen der psychiatrischen Erkenntnis – Beiträge zur allgemeinen Psychiatrie I. Springer, Berlin
  • 1924 Hypnose und Suggestion. Ullstein, Berlin (Reihe: Wege zum Wissen Nr.11; Übers.: Leningrad 1925, Moskau 1927; Prag 1931; Tallinn 1991)
  • 1924 Psychotherapie – Charakterlehre, Psychoanalyse, Hypnose, Psychagogik. Springer, Berlin (2. verb. u. erw. Auflage 1925)
  • 1927 Die Psychologie in der Psychiatrie – Eine Einführung in die psychologischen Erkenntnisweisen innerhalb der Psychiatrie und ihre Stellung zur klinisch-pathologischen Forschung. Springer, Berlin (Habilitationsschrift; engl. Übers. Columbus (Ohio) 1936, russ. Moskau 2001-2002);
  • 1930 Perspektiven der Seelenheilkunde. Thieme, Leipzig
  • 1932 Lehrbuch der Charakterkunde. Springer, Berlin
  • 1932 mit Siddy Wronsky (unter Mitw. von Rolf Reiner): Sozialtherapie und Psychotherapie in den Methoden der Fürsorge. Heymann, Berlin
  • 1941 Degenerati u wlasti [Degenerierte an der Macht], Moskau, Krasnojarsk 1941, Magadan 1942, repr. Moskau 1993; m.d.T. Krowawaja schajka degeneratow [Die blutige Bande der Degenerierten] auch Swerdlowsk 1942.
  • 2006 Stanowlenie Sindromologii i Konzepzii Schizofrenii - Rabotj 1935-1940. Entstehung der Syndromologie und Konzeption der Schizophrenie - Werke 1935-1940. Klass, Moskau [Teilweise zweisprachige Auswahl von in der UdSSR in den angegebenen Jahren erschienenen russischen Publikationen Kronfelds]

Herausgeberschaften

  • 1922–1927 Kleine Schriften zur Seelenforschung Püttmann, Stuttgart (1928 kurzzeitig u.d.T. Schriften zur Seelenforschung weitergeführt von Carl Schneider)
  • 1934–1936/37 (zus. mit Wilhelm Stekel): Psychotherapeutische Praxis – Vierteljahresschrift für praktische ärztliche Psychotherapie. Weidmann Wien. [1]

Weitere Bücher, Monographien und Buchbeiträge s.

Verweise

  1. Heute: Evangelisches Krankenhaus Königin Elisabeth Herzberge ()


 
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