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Seelentaubheit



Die häufigste Form der zentral-auditiven Verarbeitungsstörungen ist die auditive Agnosie. Der Begriff setzt sich aus der griechischen Vorsilbe A- (= Un-, -los, -leer) und dem Wortteil -gnos (= Kenntnis) zusammen und beschreibt eine Störung jener Verarbeitungsstufen bzw. -prozesse, die die akustischen Parameter eines spezifischen Signals verarbeiten. Dazu gehört z.B. der temporäre Verlauf, die spektrale Zusammensetzung oder die Kombination mehrerer Parameter zu einem Muster. Trotz erhaltener Hörfähigkeit und einer befundfreien Tonaudiometrie (mit Ausnahme bei der kortikalen Taubheit) sind die Patienten nicht in der Lage, komplexe akustische Signale zu dekodieren und ihnen einen semantischen Inhalt zuzuordnen. Dies kann sowohl verbales als auch nonverbales Geräuschmaterial betreffen. Da eine standardmäßige Überprüfung dieser Leistungen im Rahmen neurologischer bzw. neuropsychologischer Screenings nicht vorkommt, gibt es keine gesicherten Angaben zur Häufigkeit der Störung; Beschreibungen des Syndroms beschränken sich in den meisten Fällen auf Einzelfallstudien. Meist werden auditive Agnosien durch bilaterale ischämische oder hämorrhagische Insulte der Temporallappen verursacht, die zu Läsionen der Hörkortizes bzw. der subkortikalen Anteile der Hörbahn führen. In seltenen Fällen können auch Enzephalitiden, Schädel-Hirn-Traumata oder Medikamentenintoxikationen zu einer auditiven Agnosie führen.

Kortikale Taubheit (cortical deafness) Im Gegensatz zu den übrigen auditiven Agnosien haben die Patienten mit kortikaler Taubheit kein befundfreies Tonaudiogramm. Die tonaudiometrischen Schwellen sind entweder nicht messbar oder stark erhöht (z.B. 100 dB). Dabei ist ungeklärt, ob die Betroffenen tatsächlich das Signal wahrnehmen oder lediglich die entstehenden Vibrationen spüren. Die kortikale Taubheit tritt ausschließlich nach beidseitiger Läsion des auditorischen Kortex bzw. der Radiatio acustica auf. Die betroffenen Patienten zeigen keinerlei Reaktion auf akustische Stimuli, auch keine Startle- und / oder Orientierungsreaktion. Sie sind nicht in der Lage, unterschiedliche Geräusche oder Sprache zu diskriminieren (z.B. im Rahmen einer gleich vs. ungleich-Entscheidung) oder zu identifizieren. Eine differenzialdiagnostische Abklärung zur peripheren Schwerhörigkeit oder Ertaubung erfolgt in der Regel anhand der akustisch evozierten Hirnstammpotenziale.

Eine Sonderform bildet das taube Hören. Hier können Patienten durch das willentliche Fokussieren der Aufmerksamkeit eine rudimentäre Hörfähigkeit erreichen. Sie sind jedoch i. d. R. nicht in der Lage, komplexe Muster oder isolierte akustische Parameter zu unterscheiden.

Generalisierte auditive Agnosien Die generalisierte auditive Agnosie entsteht durch die bilaterale Läsion der oberen Temporalwindung (Gyrus temporalis superior), der Heschl'schen Querwindung sowie deren afferente und efferente Bahnen bis zum Thalamus (Corpus geniculatum mediale). Patienten mit generalisierter auditiver Agnosie sind nicht in der Lage, Sinn tragenden Umweltgeräuschen oder gesprochener Sprache eine semantische Bedeutung zuzuordnen. Sie können jedoch -- von leichten aphasischen Beeinträchtigungen abgesehen -- sprechen, schreiben und lesen.

Reine Geräuschagnosie Die reine Geräuschagnosie tritt nach bilateralen oder rechtshemisphärischen Läsionen auf, wobei die kritischen Regionen mit denen der generalisierten auditiven Agnosie (siehe oben) übereinstimmen. Wie das oben beschriebene Patientenklientel sind auch die von Geräuschagnosie Betroffenen -- mit leichten aphasischen Beeinträchtigungen -- in der Lage, gesprochene Sprache zu sprechen, zu schreiben und zu lesen. Zusätzlich verfügen sie über ein in der Regel gut erhaltenes Sprachverständis. Beeinträchtigungen zeigen sich in der isolierten Fähigkeit, nonverbale Alltags- und Umweltgeräusche zu identifizieren. Obwohl bisher nur äußerst wenige Fälle beschrieben wurde, ist davon auszugehen, dass die Inzidenz dieser Störung unterschätzt wird. Dies liegt -- wie bereits oben erwähnt -- daran, dass die Überprüfung der zentral-auditiven Funktionen nicht routinemäßig untersucht wird und dass den Betroffenen ihre Störungen in der Regel unspezifisch erscheinen.

Affektive auditive Agnosie Die affektive auditive Agnosie gehört zu den paralinguistischen auditiven Agnosien und wurde bisher nur nach rechtshemisphärischen Läsionen beschrieben. Bei diesen Agnosien ist die Fähigkeit gestört, aus gesprochener Sprache die unterschiedlichen akustischen Parameter mit bestimmten paralinguistischen oder metalinguistischen Informationen zu verbinden. Wie bei der generalisierten auditiven und der reinen Geräuschagnosie sind -- mit den bereits erwähnten aphasischen Beeinträchtigungen -- Sprechen, Lesen und Schreiben unbeeinträchtigt. Die Inhalte gesprochener Sprache werden erfasst, jedoch sind die Betroffenen nicht in der Lage, beispielsweise das Geschlecht und das ungefähre Alter eines Sprechers oder die emotionale Konnotation von Äußerungen zu verstehen.


Siehe auch

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