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Anthroposophische Medizin



Die Anthroposophische Medizin ist eine aus der Anthroposophie Rudolf Steiners (1861−1925) hervorgegangene komplementärmedizinische Richtung, d. h. sie will die sogenannte, etablierte Schulmedizin ergänzen oder erweitern, nicht ersetzen (Alternativmedizin). Ihre theoretisch-methodischen Grundlagen entwickelte Steiner 1920–1924 in zahlreichen Vorträgen für Ärzte und Medizinstudenten (Band 312–319 der Gesamtausgabe) sowie in dem 1925 mit der Ärztin Ita Wegman (1876–1943) herausgegebenen Buch Grundlegendes zu einer Erweiterung der Heilkunst nach geisteswissenschaftlichen Erkenntnissen (wobei „geisteswissenschaftlich“ sich auf Steiners anthroposophische Geisteswissenschaft bezieht, nicht auf Geisteswissenschaften im herkömmlichen Sinn).

 

Inhaltsverzeichnis

Anthroposophisch-medizinische Lehre

Die Anthroposophie unterscheidet – ähnlich wie die Ontologie Nicolai Hartmanns – vier Ebenen oder Schichten der Wirklichkeit. Im Unterschied zu Hartmanns Schichtenlehre und ähnlichen philosophischen Systemen sollen jedoch drei der vier von der Anthroposophie postulierten Ebenen nur durch eine besonders geschulte „übersinnliche“ Wahrnehmung (oder im Einzelfall auch durch eine besondere Begabung) erkennbar sein. An allen vier Ebenen hat der Mensch aber zumindest unbewusst Anteil durch seine vier Wesensglieder, die jeweils einer dieser Ebenen angehören. Im einzelnen sind das:

  • Der physische Leib, der den Gesetzen der Physik gehorcht und von der konventionellen Wissenschaft erforscht werden kann.
  • Der ätherische Leib, der – wie bei allen Lebewesen – als ein über das Physische hinausgehendes Organisationsprinzip besonderen Gesetzmäßigkeiten folgt, die dem Lebendigen („Ätherischen“) eigen sind. Die übersinnliche Erkenntnis dieses Ätherischen wird „Imagination“ genannt.
  • Der astralische Leib, der nur bei empfindenden oder beseelten Organismen, also bei Tieren, nicht aber bei Pflanzen vorhanden ist. Die zugehörige Erkenntnisstufe heißt „Inspiration“.
  • Das Ich, die geistige Individualität, die den Menschen über das Tierreich erhebt. Ein Ich hat jeder Mensch, als solches erkannt wird es jedoch erst durch die höchste Stufe der übersinnlichen Erkenntnis, der „Intuition“ (nicht zu verwechseln mit der herkömmlichen Bedeutung dieses Wortes).

Krankheit besteht im Sinne dieser Lehre darin, dass die gesunde Wechselwirkung dieser Wesensglieder in irgendeiner Weise gestört ist. In der näheren Bestimmung dieser Störung im vorliegenden Einzelfall besteht im wesentlichen die anthroposophisch-menschenkundliche Diagnose, die als eine Erweiterung oder Ergänzung der konventionellen Diagnose angesehen wird.

Spezifisch anthroposophische Heilmittel beruhen auf dem Postulat, dass mineralische, pflanzliche und tierische Substanzen in jeweils spezifischer Weise die Wechselwirkung der menschlichen Wesensglieder beeinflussen können. Vielfach werden diese Substanzen in homöopathischer Form verabreicht. Eine besondere Bedeutung hat hier die Misteltherapie bei Krebserkrankungen erlangt. Daneben gibt es auch nicht-medikamentöse Therapieformen wie die Heil-Eurythmie, die Rhythmische Massage und die Anthroposophische Kunsttherapie.

Problematik und Kritik

Wie die ihr zugrunde liegende Anthroposophie ist die Anthroposophische Medizin nicht allgemein wissenschaftlich anerkannt, erhebt jedoch für sich selbst den Anspruch der Wissenschaftlichkeit. Die diesbezügliche Kritik an der Anthroposophie betrifft somit auch die Anthroposophische Medizin. Besonders problematisch ist hierbei die Frage, ob anthroposophische Ärzte selbst über die postulierten Fähigkeiten der „übersinnlichen Erkenntnis“ verfügen müssen oder ob sie nur „Mitteilungen“ aus der „Geistesforschung“ Rudolf Steiners praktisch umsetzen. Letzteres würde ein allgemein verbindliches Lehrgebäude mit konkreten Handlungsanweisungen voraussetzen. Ein solches existiert nicht, stattdessen wird die „individuelle“ Diagnose propagiert. Wenn aber jeder anthroposophische Arzt als Voraussetzung seiner Tätigkeit Steiners Fähigkeiten der Imagination, Inspiration und Intuition selber haben muss, dann erhebt sich die Frage, warum trotz so vieler anderer „Eingeweihter“ Steiners Werk noch immer so singulär dasteht und – abgesehen von vielen neuen „Heilmitteln“ – nicht erheblich weiter ausgebaut wurde.

Da anthroposophisch-medizinische Heilmittel häufig in homöopathischer Dosierung, d. h. stark verdünnt, angewendet werden, betrifft sie auch ein Teil der Kritik, die gegen die Homöopathie vorgebracht wird.

Trotz dieser offenkundigen Problematik ist die öffentliche Kritik an der Anthroposophischen Medizin im Vergleich zu der Kritik an der ihr zugrunde liegenden Anthroposophie und noch mehr zu der Kritik an der Person Rudolf Steiner bislang eher verhalten (siehe Weblinks).

Rechtlicher Status

Anthroposophische Medizin ist in Deutschland eine „besondere Therapierichtung“ im Sinne des Sozialgesetzbuches und des Arzneimittelgesetzes. Weitere „besondere Therapierichtungen“ sind in diesem juristischen Sinn die Homöopathie und die Phytotherapie (Pflanzenheilkunde). Im Gegensatz zu anderen Arzneimitteln dürfen Präparate der besonderen Therapierichtungen zugelassen und verordnet werden, auch ohne dass für sie Wirksamkeitsnachweise nach empirisch-wissenschaftlichen Kriterien erbracht wurden, sofern eine sogenannte Binnenanerkennung durch Experten der jeweiligen Therapierichtung vorliegt und das Mittel in einer Monographie beschrieben ist.

Wichtige klinische Einrichtungen

 

In Deutschland gibt es fünf anthroposophisch orientierte Krankenhäuser und daneben verschiedene anthroposophisch orientierte Krankenhausunterabteilungen, Fachkliniken und Sanatorien.

  • das Gemeinschaftskrankenhaus Herdecke in Herdecke, seit 1969
  • die Filderklinik in Filderstadt, seit 1975
  • das Gemeinschaftskrankenhaus Havelhöhe in Berlin, seit 1995
  • das Paracelsus Krankenhaus in Bad Liebenzell/Unterlengenhardt, seit 1970
  • die Klinik Öschelbronn in Öschelbronn, seit 1970

In der Schweiz gibt es drei anthroposophische Krankenhäuser:

  • die Ita Wegman-Klinik in Arlesheim, seit 1921
  • die Lukasklinik für Tumorerkrankungen in Arlesheim, seit 1963
  • das Paracelsus-Spital in Richterswil, seit 1994

Literatur

Werke Rudolf Steiners

  • Rudolf Steiner: Geisteswissenschaft und Medizin. 7. Auflage. Rudolf Steiner Verlag, Dornach 1999 (Mitschriften eines Vortragszyklus von 1920).
  • Rudolf Steiner: Geisteswissenschaftliche Gesichtspunkte zur Therapie. 5. Auflage. Rudolf Steiner Verlag, Dornach 2001 (Mitschriften eines Vortragszyklus von 1921).
  • Rudolf Steiner: Physiologisch-Therapeutisches auf Grundlage der Geisteswissenschaft. 3. Auflage. Rudolf Steiner Verlag, Dornach 1989 (Mitschriften von Vorträgen 1920–1924).
  • Rudolf Steiner: Anthroposophische Menschenerkenntnis und Medizin. 3. Auflage. Rudolf Steiner Verlag, Dornach 1994 (Mitschriften von Vorträgen 1923–1924).
  • Rudolf Steiner, Ita Wegman: Grundlegendes für eine Erweiterung der Heilkunst nach geisteswissenschaftlichen Erkenntnissen. Rudolf Steiner Verlag, Dornach 1991 (Erstausgabe 1925).

Werke anderer Autoren

  • Volker Fintelmann: Intuitive Medizin. 5. Auflage. Hippokrates Verlag, Stuttgart 2007, ISBN 978-3-8304-5369-7.
  • Michaela Glöckler (Hrsg.): Anthroposophische Arzneitherapie für Ärzte und Apotheker. Wissenschaftliche Verlagsgesellschaft, Stuttgart 2005, ISBN 3-8047-2102-8.
  • Friedrich Husemann, Otto Wolff: Das Bild des Menschen als Grundlage der Heilkunst. Verlag Freies Geistesleben, Stuttgart 2003, ISBN 3-7725-0529-5.
  • S. Kienle, Gunver, Helmut Kiene und Hans-Ulrich Albonico: Anthroposophische Medizin in der klinischen Forschung. Wirksamkeit, Nutzen, Wirtschaftlichkeit, Sicherheit. Schattauer, Stuttgart 2006, ISBN 3-7945-24713.
  • Georg Soldner, Hermann Stellmann: Individuelle Pädiatrie - Anthroposophisch-homöopathische Therapie. Wissenschaftliche Verlagsgesellschaft, Stuttgart 2002, ISBN 3-8047-1957-0.
  • Peter Selg: Anfänge anthroposophischer Heilkunst. Ita Wegman, Friedrich Husemann, Eugen Kolisko, Frederik Willem Zeylmans van Emmichoven, Karl König, Gerhard Kienle. Philosophisch-Anthroposophischer Verlag am Goetheanum, Dornach 2000 (Pioniere der Anthroposophie; Band 18), ISBN 3-7235-1088-4.
  • Peter Selg: Anthroposophische Ärzte - Lebens- und Arbeitswege im 20. Jahrhundert. Verlag am Goetheanum, Dornach 2000, ISBN 3-7235-1069-8.

Periodika

  • Der Merkurstab. Berlin und Dornach, offizielles Organ der medizinischen Sektion der Freien Hochschule für Geisteswissenschaft am Goetheanum, Dornach/Schweiz, und der Gesellschaft anthroposophischer Ärzte in Deutschland, erscheint zweimonatlich.

Forschung

  • Kollegiale Instanz für Komplementärmedizin Universität Bern
  • Uni-Zentrum Naturheilkunde Universität Freiburg
  • Lehrstuhl für Medizintheorie und Komplementärmedizin Universität Witten-Herdecke
  • Chronobiologische Forschung in Witten und Herdecke
  • Carl-Gustav-Carus-Institut, Niefern-Öschelbronn bei Pforzheim
  • Institut für angewandte Erkenntnistheorie und medizinische Methodologie Bad Krozingen und Freiburg
  • Institut für klinische Forschung Berlin
  • Forschungsinstituts Berlin Havelhöhe (FIH)
  • Verein für Krebsforschung

Kritisch

  • Anthroposophische Medizin - Okkulte Heilkunst ohne Wirkungsnachweis
  • Magie als Kassenleistung? Anthroposophie in der Gesundheitspolitik
  • Schamanenmedizin in der Positivliste (FAZ)
  • Anthroposophische Medizin und Glaubensinhalte Steiners
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Dieser Artikel basiert auf dem Artikel Anthroposophische_Medizin aus der freien Enzyklopädie Wikipedia und steht unter der GNU-Lizenz für freie Dokumentation. In der Wikipedia ist eine Liste der Autoren verfügbar.
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