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Alveolitis sicca



Eine Alveolitis sicca (von lat. siccus „trocken“; auch Dolor post extractionem) ist eine Komplikation nach einer Zahnentfernung, vor allem im Bereich der Seitenzähne des Unterkiefers. Dabei kommt es zu einer Entzündung des knöchernen Zahnfaches, der Alveole.

Ursache ist ein Zerfall des Blutgerinnsels. Dieses schützt die Alveole vor dem Eindringen von Keimen aus der Mundhöhle, bis die Oberfläche der Wunde mit Schleimhaut überwachsen ist.

Inhaltsverzeichnis

Normale Wundheilung nach Extraktionen

Die regelrechte Wundheilung nach einer Zahnextraktion erfolgt als Sekundärheilung. Dabei blutet die Alveole voll, es bildet sich ein Koagulum in der Alveole, dass nach einigen Tagen von einsprießenden Kapillaren durchblutet wird und sich über ein Granulationsgewebe in ein Narbengewebe umwandelt.

Ursachen für Alveolitis sicca

Die normale Wundheilung wird verhindert, weil sich kein stabiles Koagulum in der Alveole bildet bzw. weil es wieder zerfällt. Es gibt verschiedene Gründe für die Zerstörung des Koagulums. Der Blutpfropf schrumpft nach einigen Stunden etwas. Ist die ursprüngliche Wunde groß, kann dadurch im Randbereich ein Spalt entstehen. In diesen dringen Bakterien ein und zersetzten das Blutgerinnsel. Außerdem wird der Pfropf durch starke chemische oder mechanische Reize angegriffen und zerfällt. Gelegentlich halten Patienten die gelbliche Fibrinschicht, welche sich nach einem Tag auf dem Gerinnsel bildet, für eine Verunreinigung und versuchen, sie zu entfernen. Auch dadurch kann der Pfropf zerstört werden.

Vorstellbar ist auch, dass das Koagulum mit dem Ausbisstupfer aus der Wunde gerissen wird, den der Patient nach der Extraktion für einige Zeit im Mund hat.

Bei sehr schwacher Blutung aus der Extraktionswunde bildet sich eventuell erst gar kein Koagulum.

Symptome

Der freiliegende Knochen bedingt dann starke, ausstrahlende Schmerzen. Auch Mundgeruch kann auftreten. Trotz der Entzündung kommt es zu keiner Vereiterung oder Abszessbildung. Der Schmerz ist praktisch das einzige nennenswerte Entzündungszeichen. Dafür tritt der Schmerz mit einer extremen Stärke auf. Die Patienten können nachts nicht schlafen, Schmerztabletten helfen wenig und sie sind wegen der Schmerzen wirklich krank. Aus diesem Grund ist auch eine kurze Krankschreibung (1-2 Tage) bis zum Anschlagen der Therapie gerechtfertigt.

Bei der intraoralen Inspektion ist das zerfallene Blutkoagulum mehr oder weniger deutlich zu erkennen, bzw. ist die Alveole leer

Krankheitsverlauf

Typischerweise setzen die starken Schmerzen zwei Tage nach der Extraktion ein. Am Tag der Extraktion sind naturgemäß einige Schmerzen nach dem Abklingen der Lokalanästhesie zu spüren. Normalerweise klingen diese Schmerzen am Folgetag deutlich ab und beginnen nach weiteren 24 Stunden wieder stärker zu werden, wobei sie sich innerhalb weniger Stunden bis ins Unerträgliche steigern. Der typische Krankheitsverlauf und die starken Schmerzen erlauben meist schon eine eindeutige Diagnose nach der Anamnese.

Diagnostische Schwierigkeiten ergeben sich bei besonders empfindlichen oder wehleidigen Patienten, wenn die starken Schmerzen bereits am Tag der Extraktion oder am Folgetag auftreten. Im Zweifelsfall werden auch diese Patienten wie bei einer Alveolitis sicca behandelt. Eine unbehandelte Alveolitis sicca klingt nach 1-2 Wochen qualvoller Schmerzen von alleine ab. In dieser Zeit wird der Knochen der freiliegenden Alveole von einer dünnen, schützenden Schleimhaut überwachsen.

Differentialdiagnose

Differentialdiagnostisch ist eine Osteomyelitis in Betracht zu ziehen, die aber äußerst selten in Zusammenhang mit einer Zahnextraktion auftritt. Die Osteomyelitis tritt aber typischerweise als multipler Abszess mit multiplen Fisteln auf.

Auch an eine iatrogene (durch den Arzt) bedingte Eröffnung der Kieferhöhle (Mund-Antrum-Verbindung) während der Extraktion ist zu denken. Sollte diese nach der Extraktion eines oberen Seitenzahnes unentdeckt bleiben, weil z.B. kein Nasen-Blas-Versuch nach der Extraktion durchgeführt wurde, dann kann es zu einer Entzündung der Kieferhöhle kommen. Allerdings sind die dabei auftretenden Schmerzen gewöhnlich nicht so extrem. Im Zweifel kann man den Nasen-Blas-Versuch noch nachholen.

Die schwierigste differentialdiagnostische Abgrenzung ergibt sich aus gewöhnlichen postoperativen Schmerzen nach der Zahnextraktion. Besonders bei empfindlichen oder wehleidigen Patienten ist die sichere Abgrenzung oft unmöglich.

Operative Entfernung der Weisheitszähne

Nach der operativen Entfernung eines Weisheitszahnes kommt es besonders bei den Weisheitszähnen des Unterkiefers häufiger zu starken postoperativen Schmerzen im Sinne einer Alveolitis sicca. Dem kann eventuell durch primären Wundverschluss vorgebeugt weden. Dagegen tritt nach der operativen Entfernung der oberen Weisheitszähne eine Alveolitis sicca nur extrem selten auf. Eine wahrscheinliche Erklärung ist die völlig unterschiedliche Knochenstruktur des Oberkiefers. Der Oberkieferknochen ist viel weicher (spöngiös) und viel besser durchblutet. Da er insgesamt ein größeres Volumen hat, um die Kräfte aufzunehmen, brauch er auch nicht so fest und kompakt zu sein, wie der Unterkieferknochen. Wegen seiner wesentlich geringeren Spongiosaanteile ist der Unterkieferknochen auch schlechter durchblutet. Da Heilungsprozesse und Abwehrprozesse im Wesentlichen von der Durchblutung abhängen, liegt hierin die Hauptursache für das häufigere Auftreten der Alveolitis sicca im Unterkieferknochen. Das gleiche trifft für die Osteomyelitis der Kiefer zu, die auch bevorzugt den Unterkieferknochen befällt.

Name der Erkrankung

Der Name Alveolitis sicca betont den Ort (Alveole) und die Natur (Entzündung - „-itis“) der Erkrankung. Der Zusatz „trocken“ (sicca) deutet auf die leere Alveole (ohne Koagulum). Die direkte englische Übersetzung lautet folgerichtig: dry socket (trockene Alveole).

Dagegen betont die Krankheitsbezeichnung Dolor post extractionem (Schmerz nach Extraktion) das Hauptsymptom - den Schmerz. In der Praxis wird meist salopp nur kurz von Dolor post gesprochen.

Die Bezeichnung Postextraktionssyndrom lässt alle Möglichkeiten offen. Sie soll gebräuchlich sein, wenn eine begleitende Neuritis hinzukommt. Diese Unterscheidung ist allerdings nicht praxistauglich, da die Neuritis-ähnlichen Schmerzen bei jeder typischen Alveolitis sicca auftreten. allerdings sind bei einer klassischen Nueritis die Schmerzen anfallsweise, während sie bei der typischen Alveolitis sicca konstant stark sind.

Eine weitere Bezeichnung ist Osteitis alveolaris (Knochenentzündung der Alveole).

Ursachen und Risikofaktoren

Die genauen Ätiologie ist nicht bekannt. Vermutet wurden bestimmte Keime, besonders stark indizierte Zähne, traumatische oder schwere Zahnextraktionen. Interessanterweise ist die Erkrankungsrate nach Extraktionen durch Studenten der Zahnmedizin wesentlich höher, was auf einen gewissen traumatischen Faktor schließen lässt.

Das Risiko einer Alveolitis sicca kann durch Verzicht auf Nikotin, Koffein und mechanische Manipulation stark vermindert werden.

Behandlung

Die Behandlung besteht in einer chirurgische Revision in Lokalanästhesie zur Beseitigung der Nekrosen und Schaffung frischer Wundflächen (im Ausräumen des zerfallenden Koagulums und Auskratzen der Alveole) Die Lokalanästhesie ist erforderlich, da der freiliegende Knochen extrem schmerzhaft ist.

Anschließend wird eine Tamponade eingelegt, welche mit desinfizierenden und schmerzstillenden Medikamenten getränkt sein kann. Diese muss bis zur vollständigen Ausheilung regelmäßig vom Zahnarzt gewechselt werden, um einer weiteren Infektion vorzubeugen. Eine systemische Antibiotikagabe ist nicht indiziert - sie zeigt keine Wirkung.

In leichteren Fällen kann sich die Behandlung auf vorsichtigen Reinigen und Spülen des Wundgebiets ohne Lokalanästhesie beschränken. Besonders bei verschleppten Behandlungsfällen, wenn sich der Patient erst nach mehreren Tagen mit einer fast schon wieder abgeklungenen Alveolitis sicca zur Behandlung vorstellt, ist die radikale Ausräumung und Anfrischung der Alveole nicht mehr indiziert, da die normale Wundheilung bereits eingesetzt hat und durch das Auskürettieren nur die weitere Wundheilung hinausgezögert würde bzw. um mehrere Tage zurückgeworfen werden würde.

Insgesamt kann sich die Wundheilung nach einer Alveolitis sicca über mehrere Wochen hinziehen, bis der gesamte Knochen von der Seite her wieder mit Schleimhaut überwachsen ist. Die akuten Beschwerden klingen allerdings bereits nach 1 bis 2 medikamentösen Einlage deutlich ab. Die Einlagen werden anfangs täglich gewechselt, später alle 2–3 Tage. Eine Spülung der gereinigten Alvole mit 3%igem Wasserstoffperoxid zwecks Reinigung durch Schaumbildung (mech. Reinigung) und Einbringen von Sauerstoff ist ebenfalls angezeigt.

Socketol

Als schmerzlinderndes und antiseptisches Arzneimittel zur lokalen Therapie der Alveolitis zum Einbringen in die Alveole wird u.a. SOCKETOL® (Lidocain, Phenoxyethanol, Thymol, Perubalsam) verwendet). Die Paste benötigt keinen Trägerstreifen und kann direkt appliziert werden.

Terracortril

Die medikamentösen Einlagen waren in Deutschland überwiegend bis 2004 Salbenstreifen (Wundgaze) mit Terracortril® (Hydrokortison mit Oxytetracyclin). Diese Salbe ist jedoch nicht mehr erhältlich, obwohl sie hervorragend funktioniert hat und die Zahnärzte suchen noch immer nach einem passenden, gleichwertigen Alternative. Versucht werden:

  • Terracortril Augensalbe (N Betamethason und Gentamicin, teurer - besonders bei pauschalierter Kostenerstattung der Krankenkassen für die Verbrauchsmittel der Zahnarztpraxis, kritisch wegen der nicht zugelassenen Indikation außerhalb der Augenheilkunde)
  • individuelle Anfertigung in der Apotheke nach der Originalzusammensetzung von Terracortril (teuer, noch dazu nur für wenige Wochen haltbar)
  • Aureomycin-Salbe (ihr fehlt allerdings die Cortison-Komponente)
  • Neomycin-Hydrocortison-Salbe
  • Furacin® (Vitrofurazon)

Terracortril wurde nach Auskunft des Herstellers (Dr. Gerhard Mann Chem.-pharm. Fabrik GmbH, Berlin) vom Markt genommen, da sie die europaweit erforderliche klinische Prüfung mit Wirksamkeitsnachweis nicht in einem kostenintensiven Neuzulassungsverfahren für Altmedikament durchführen wollten.

Ältere Behandlungsmethoden

Ältere Behandlungsmethoden waren:

  • medikamentöse Einlagen mit
  • Zinkoxid-Zement auf einem Mullstreifen als Tamponade - für eine Woche belassen

Dontisolon

Dontisolon®-Salbenstreifen (Prednisolon) als medikamentöse Einlagen nach der oben beschriebenen Wundreinigung sind derzeit in Deutschland weit verbreitet. Sie sind aber bei weitem nicht so wirksam, wie die Terracortril-Einlagen.

Häufigkeit

Die Angaben zur Häufigkeit variieren stark, was ebenfalls für eine gewisse Abhängigkeit vom Behandler spricht. Die Häufigkeit liegt bei einer Größenordnung von 1%.

Quellen

R.S.R. Buch et al., zm 95, Nr. 20, 16.10.2005, Seite 54-58: Dolor post extractionem - Die lokale Therapie der Alveolitis mit medikamentösen Einlagen

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Dieser Artikel basiert auf dem Artikel Alveolitis_sicca aus der freien Enzyklopädie Wikipedia und steht unter der GNU-Lizenz für freie Dokumentation. In der Wikipedia ist eine Liste der Autoren verfügbar.
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