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Scheuermann-Krankheit



Die Scheuermann-Krankheit, auch Morbus Scheuermann (M. Scheuermann), Adoleszentenkyphose oder juvenile Kyphose, (med. Nomenklatur: Osteochondritis deformans juvenilis dorsi) ist eine Wachstumsstörung der jugendlichen Wirbelsäule, welche zu einer schmerzhaften Fehlhaltung führen kann. Es handelt sich um eine aseptische Osteochondrose (Knorpel-Knochenerkrankung ohne Beteiligung von Keimen). Männliche Jugendliche sind 4- bis 5-mal häufiger betroffen als weibliche. Der Übergang zwischen Haltungsschwäche und Normvariante ist fließend. Benannt wurde sie nach ihrem Erstbeschreiber, dem dänischen Röntgenarzt Holger Werfel Scheuermann.

Inhaltsverzeichnis

Pathogenese

Während des pubertären Wachstumsschubes zwischen dem 11. und dem 15. Lebensjahr bei Mädchen und dem 12. bis 17. Lebensjahr bei Jungen ist die Wirbelsäule besonders anfällig für Fehlentwicklungen. Bei vermehrter Biegebelastung (z. B. langes gebeugtes Sitzen, deswegen im Volksmund auch „Schneider-Buckel“ oder „Lehrlings-Buckel“ genannt) und bei gleichzeitig schwacher Rückenmuskulatur (fehlender Gegenzug) werden die Wirbelkörper an den konkavseitigen ventralen Vorderkanten unverhältnismäßig stark belastet, und es kommt zu Schäden an den Knorpel-Knochen-Verbindungen der Wirbelkörperdeckplatten und Wirbelkörperkanten. Die Wachstumszone an den Wirbelkörperkanten wird geschädigt, die Wirbelkörper verformen sich keilförmig und zerfurchte, zerklüftete Deckplatten, kleine linsen- bis erbsengroße Kavernen (Schmorl-Knorpelknötchen) entstehen. In gravierenden Fällen treten Deckplatteneinbrüche auf. Meistens ist die Distanz der Wirbelkörper zueinander im Verhältnis zu normalen Wirbelsäulen stark verringert. Dadurch gerät die Wirbelsäule in eine Fehlstatik. Durch die Keilform mehrerer Wirbelkörper kommt es zur Rundrücken- oder Buckelbildung, d. h. zur verstärkten Kyphosierung der Wirbelsäule. Oft entsteht kompensatorisch im Bereich der Lendenwirbelsäule ein verstärktes Hohlkreuz (Hyperlordose). Es gibt auch eine atypische Sonderform des M. Scheuermann, den Typ II, die vorwiegend die Lendenwirbelsäule betrifft. Dort entsteht dann statt einer natürlichen Lordose ein Flachrücken oder gar eine Kyphose der Lendenwirbelsäule. Die Langzeit-Schmerzprognose des atypischen M. Scheuermann II ist ungünstiger als bei M. Scheuermann der Brustwirbelsäule. Es wird angenommen, dass beim thorakalen M. Scheuermann der durch die Massendefekte in den Bandscheibenräumen bedingte Stabilitätsverlust durch den umgebenden Rippenkorb ausgeglichen wird. Treten die gleichen Veränderungen an der Lendenwirbelsäule auf, kommt dieser Kompensationseffekt nicht zur Wirkung.

Mit Abschluss des Wachstums kommt die Erkrankung zum Stillstand, d. h., sie ist selbstlimitierend. Die eingetretenen Schäden an den Knorpeln und Wirbelkörpern bleiben für den Rest des Lebens bestehen. Die von M. Scheuermann vorgeschädigte Wirbelsäule kann auf Grund der Fehlstatik und der verringerten Wirbelkörperdistanz im Erwachsenenalter erhebliche Probleme und Schmerzen bereiten. Osteochondrose, weitere zu frühe Degeneration, Blockaden der Brustwirbelsäule und eine Verschlechterung des Cobb-Winkels der Brustwirbelsäulen-Kyphose (Zunahme des Buckels) können die Spätfolgen von M. Scheuermann im Erwachsenenalter sein. Man spricht dann nicht mehr von Morbus Scheuermann, sondern vom „Zustand nach M. Scheuermann“ oder Post-Scheuermann-Syndrom.

Diagnose

  Die Diagnose wird zunächst durch den typischen klinischen Befund gegeben. Der dazu passende Röntgenbefund in der seitlichen Aufnahme, oft Rückenschmerzen und das passende Alter bestätigen die Diagnose. Häufig wird M. Scheuermann als Zufallsbefund bei Thorax-Röntgenbildern diagnostiziert.

Für eine sorgfältige Diagnose bei Scheuermannscher Krankheit ist eine sagittale (seitliche) Ganzwirbelsäulenaufnahme erforderlich, bei der der Kyphose- und Lordosewinkel nach COBB vermessen wird. Bei der über die Norm hinausgehenden Kyphose der Brustwirbelsäule kommt es kompensatorisch zu einer Hyperlordose der Lendenwirbelsäule, der klinische Befund zeigt hier eine Hohlkreuzposition. Auch die betroffenen Keilwirbel sollen benannt und in ihrem Keilwinkel vermessen werden. Wirbelkörper mit Normabweichungen sollten benannt und beschrieben werden (z. B. „Schmorlscher Knoten, 7 mm Durchmesser, in Deckplatte WK Th 5 Keilung 15°, ventrale Randeinbrüche“). Die Fixierung oder Restbeweglichkeit der Wirbelsäule ist durch eine Vermessung nach SCHOBER und OTT zu dokumentieren. Die Aufrichtung der Kyphose in Rutschhalte und tiefer Rutschhalte sind Anhaltswerte für die konservativ erreichbaren Therapieergebnisse. Ohne sorgfältige Diagnose und Dokumentation der Messwerte ist die Beobachtung und Prognostik der Progredienz (Verschlechterungstendenz) nicht möglich.

Bei Erwachsenen mit M. Scheuermann und Schmerzproblemen sollten differenzialdiagnostisch Morbus Bechterew und ähnliche Erkrankungen des rheumatischen Formenkreises sowie Osteoporose ausgeschlossen werden.

Differentialdiagnostisch kann es zu Verwechselungen mit Chorda–Rückbildungsstörungen kommen. Diese klinisch harmlose Normvariante äußert sich in zentralen Deckplattenverformungen, die keinen Einfluss auf die Statik der Wirbelsäule und keinen Krankheitswert haben, auf dem Röntgenbild aber mit Schmorlschen Knötchen verwechselt werden können.

Behandlung

Entscheidend ist die Vermeidung von Fehlbelastungen (z. B. stundenlanges gebeugtes Sitzen). Nicht grundsätzlich jede Sportart ist für Scheuermann-Patienten geeignet. Sportarten, bei denen die Wirbelsäule erheblichen Kompressions- und Torsions-Belastungen durch Stöße, Sprünge, Schläge, Stürze usw. ausgesetzt sind (Kampfsportarten, Hallen-Ballsportarten, Geräte- und Bodenturnen, Radfahren in Rennradhaltung, Laufsportarten auf harten Böden mit ungenügender Dämpfung, usw.) können die Beschwerden verstärken. Geeignet sind Kraftsport (ohne stemmende und drückende Belastungen), Schwimmen, Gymnastik, Walking, usw. Es ist darauf zu achten, dass keine inklinierenden, die Kyphose verstärkenden Übungen (z. B. Rudern) durchgeführt werden. Therapeutisches Ziel ist die Reklination, Aufrichtung und Streckung, Dehnung verkürzter und in den Rundrücken hinein ziehender Strukturen und Muskelketten, die Kräftigung der statischen autochthonen Muskulatur und Training einer aufrechteren Haltung. Bei teilfixierten Kyphosen mit einem Cobb-Winkel über 50°, bei denen die Autoreklination nicht möglich ist, kann eine reklinierende Rumpf-Orthese (aufrichtendes Korsett) gute Erfolge zeigen, wenn das Korsett den Kyphosewinkel als Primärkorrektur mindestens 40 % korrigiert und das Korsett mit ausreichender Compliance zusammen mit intensiver Krankengymnastik mindestens 20 Stunden pro Tag getragen wird. Auch bei erwachsenen Schmerzpatienten kann eine stark reklinierende Orthese schnelle Schmerzlinderung und eine deutliche Haltungsverbesserung bewirken. Geeignete Reklinations-Orthesen sind z. B. die Münsteraner-Kyphose-Orthese nach Dr. Cheneau, die Tübinger-Kyphose-Orthese nach Prof. Dr. Zielke und Nusser, die Balgrist-Kyphose-Orthese nach Dr. Böni (Uniklinik Zürich) oder die Anti-Kyphose-Orthese nach Rahmouni. Korsette und Orthesen sind nur dann therapeutisch wirksam, wenn sie mindestens 50 % des Cobb-Winkels korrigieren, der über die Normvariante als Fehlstatik der Wirbelsäule hinausgeht: Beispiel:

  • Normvariante BWS-Kyphosewinkel 15 bis 25 Jahre etwa 30° Cobb
  • Patient ohne Korsett: 70° Cobb.
  • Patient im Korsett: 50° Cobb. = 50 % Korrektur
  • Patient im Korsett: 30°Cobb = 100 % Korrektur
  • Patient im Korsett: 20° Cobb = 10° Überkorrektur

Eine geringe Überkorrektur zu erreichen ist sinnvoll, da nach Ablegen des Korsettes ein „Rückfedern“ der Wirbelsäule zu erwarten ist. Es hängt von der Tragedauer, der Intensität der Selbstaufrichtung und vom Trainingszustand der autochthonen Rückenmuskulatur ab, wie stark oder wie wenig der Patient nach Ablegen des Korsettes in die Kyphose-Fehlstatik zurücksinkt. Bei guter Compliance können gute Aufrichtungs- und Heilungserfolge erreicht werden. Dann ist die Prognose bei M. Scheuermann positiv.

Eine operative Aufrichtung der Wirbelsäule ist nur in extremen Ausnahmefällen über 70° Kyphosewinkel und bei starken, mit konservativen Methoden therapieresistenten Schmerzen angezeigt. Die Operation erfolgt durch ventrale Entfernung der verschlissenen Bandscheiben, Einfügen von Knochensegmenten aus dem Beckenkamm oder den Rippen statt der Bandscheiben, Aufrichtung durch Entfernung von dorsalen Knochenkeilen (Osteotomie) und Fixation durch Stabimplantate aus Titan oder Edelstahl, die mit Pedikelschrauben in den Wirbelkörpern verankert werden.

Auch ausgeprägte Befunde auf dem Röntgenbild können beschwerdefrei bleiben und schränken die Belastbarkeit nicht notwendigerweise ein. Dagegen kann es bei weniger ausgeprägten Befunden zu erheblichen Schmerzen und Haltungsproblemen kommen: Ein Zusammenhang zwischen Schmerz und Schweregrad des Befundes M. Scheuermann besteht also (ähnlich wie bei Skoliose) nicht.

Literatur

Scheuermann, H. W.: Kyphosis dorsalis juvenilis. Zeitschrift für orthopädische Chirurgie einschließlich der Heilgymnastik und Massage, Stuttgart, 1921, 41: 305-317.

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Dieser Artikel basiert auf dem Artikel Scheuermann-Krankheit aus der freien Enzyklopädie Wikipedia und steht unter der GNU-Lizenz für freie Dokumentation. In der Wikipedia ist eine Liste der Autoren verfügbar.
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