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Else Kienle



Else Ida Pauline Kienle (* 26. Februar 1900 in Heidenheim an der Brenz; † 8. Juni 1970 in New York) war eine deutsche Ärztin und Schriftstellerin, die 1931 kurzzeitig aufgrund des Vorwurfs der gewerbsmäßig betriebenen Abtreibung im Sinne des § 218 inhaftiert war. Sie war viermal verheiratet.

Inhaltsverzeichnis

Leben

Kindheit und Jugend

Else Kienle kam als Tochter des Realschullehrers Otto Konrad Kienle (1872-1946) und seiner Frau Elisabeth, geb. Zeller (1873-1944) zur Welt. Sie hatte einen sechs Jahre jüngeren Bruder, Otto (* 23. April 1906 in Heidenheim; † 9. April 1997 in Stuttgart). Großen Einfluss auf die Entwicklung des Mädchens nahmen ihr Großvater mütterlicherseits, Rudolf Zeller, und dessen Bruder Albert. In der Familie Zeller hatte der Beruf des Mediziners Tradition. Der berühmteste von ihnen, der Urgroßvater Dr. Albert von Zeller (1804-1877), leitete viele Jahre die Heilanstalt für Geisteskranke Winnental in Winnenden bei Stuttgart. Seine Arbeit dort zeichnete sich besonders durch die Liberalisierung und Weiterentwicklung psychiatrischer Behandlungsmethoden aus und machte ihn zu einem geachteten und geschätzten Mann, was sich nicht nur durch die Verleihung des Personal- und Amtsadels, sondern auch durch den ihm verliehenen Titels eines Hofrats ausdrückte [1]. Zudem wurde er Ehrenbürger der Stadt Winnenden. Elses Großonkel Albert, der Sohn von Albert von Zeller wurde wie sein Vater ebenfalls Arzt. Else und Otto verbrachten gelegentlich ihre Ferien bei ihm. Er wohnte und praktizierte in Ludwigsburg. Für Else stand bald fest, dass sie auch Ärztin werden wollte.

Sie ging zunächst zwei Jahre in Heidenheim in eine Höhere Töchterschule. Als der Vater an die Realschule in Niederstetten als Oberrealschullehrer versetzt wurde, zog die Familie um und sie besuchte dort die Realschule. Da die Eltern die Begabungen ihrer kleinen Tochter schon früh erkannten, schickten sie sie auf das Progymnasium im nahe gelegenen Bad Mergentheim. 1916 zog der nun zum Studienrat beförderte Vater mit seiner Familie nach Esslingen. Dort konnte sie das Georgii-Gymnasium besuchen.

Else Kienle war das erste und einzige Mädchen an ihrer Schule. Ihre guten Lateinkenntnisse und ihr furchtloses Auftreten verschafften ihr schnell Respekt unter ihren Mitschülern. Während ihres zweijährigen Aufenthalts an dieser Schule und im Abitur war sie jeweils die Klassenbeste. Bevor Else ein Studium der Medizin aufnehmen konnte, musste sie hart dafür kämpfen. Dem väterlichen Wunsch nach einem Philologiestudium setzte sie ihren Kindheitswunsch einer medizinischen Ausbildung entgegen. Rückblickend notierte sie:

Damals war es einfach undenkbar, dass eine Tochter aus gutem Hause einen Beruf ergriff, vom Medizinstudium ganz zu schweigen. Das 20. Jahrhundert und seine großen Wandlungen hatten zwar schon angefangen, doch die meisten von uns lebten immer noch in der Vergangenheit, die nicht die geringste Veränderung verhieß. Es war eine geordnete Vergangenheit, in der alles seinen angestammten Platz hatte, und an dem Platz, der den Frauen zugewiesen war, ließ sich nicht rütteln. Da ich Ärztin werden wollte, musste ich zuerst eine Rebellin werden.[1].

Nach einem langen Kampf und dem Näherrücken des Immatrikulationstages setzte ihre Großmutter gegen alle Widerstände durch, dass Else im Oktober 1918 in Tübingen mit dem Medizinstudium beginnen konnte. Sie hatte eine große Begabung, jedweden Stoff zu erlernen und besaß ein gutes Durchsetzungsvermögen. Diese beiden Charakterzüge prägten ihr späteres Leben.

Nach fünf Semestern bestand sie im März 1921 die ärztliche Vorprüfung. Neben ihren Studien ritt sie gern, spielte Tennis, liebte es zu singen und schien überhaupt ein sehr geselliger Mensch zu sein.

Sie ging deswegen für zwei Semester an die medizinische Fakultät nach Kiel, anschließend für drei Semester nach Heidelberg, wo sie sich mit den anderen Fachgebieten vertraut machte. Nach dem Sommersemester 1923 meldete sie sich zum Staatsexamen. Am 8. Dezember desselben Jahres hatte sie bestanden. Sie blieb noch bis 1924 in Heidelberg, wo sie promovierte (Thema ihrer Arbeit: Ein Fall von Melanosarkom der Aderhaut mit Perforation nach außen). Diese Dissertation behandelte ein augenärztliches Thema, welches folgenden Hintergrund hatte: Im Jahr ihrer Vorprüfung erkrankte ihr Bruder an der Netzhaut des linken Auges, was zu einer völligen Erblindung führen konnte. Otto erblindete zwar nach erfolgreicher Behandlung nicht, aber er musste sich mit einer geschwächten Sehkraft abfinden. Durch die Erkrankung ihres Bruders war Kienle der Weg zu einer Spezialisierung gewiesen worden, der ihr längst vorgeschwebt hatte. Sie wollte nicht wie ihre Vorväter in der Psychiatrie arbeiten, sondern in der Chirurgie, insbesondere der Wiederherstellungschirurgie.

Danach ging die Ärztin nach Stuttgart und absolvierte dort an verschiedenen Krankenhäusern ihr Praktikum. Sie hätte anschließend gerne eine Privatpraxis eröffnet, die sich mit Wiederherstellungschirurgie beschäftigte, doch es fehlte ihr an Geld. Daher arbeitete sie zunächst im städtischen Krankenhaus von Stuttgart in der Abteilung Dermatologie und Geschlechtskrankheiten, da die Chirurgie damals noch eine reine Männerdomäne war. Dr. Else Kienle wurde Assistenzärztin auf der sogenannten „Polizeistation“, der geschlossenen Abteilung für Geschlechtskrankheiten im Stuttgarter Katharinenhospital. Hier wurden Prostituierte behandelt, die als geschlechtskrank gemeldet worden waren.

Erster Ehemann

Im Frühjahr 1928 wurde Else Kienle zu einer Freundin gerufen, die ihren, nach einem finanziellen Zusammenbruch sich selbst erhängt habenden Vater gefunden hatte. Hier traf sie den Hauptgläubiger des Toten, den Bankier Stefan Jacobowitz (1886-1946). Er war Inhaber der Württembergischen Privatbank. Jacobowitz muss von der 14 Jahre jüngeren Ärztin fasziniert gewesen sein und tat alles, um sie für sich zu gewinnen. Else hatte eine Vorliebe für einen großzügigen und glamourösen Lebensstil. Neben einem Reitpferd, das er ihr schenkte, bot er ihr an, ihr zu einer eigenen Praxis zu verhelfen. Nach seiner Scheidung heiratete sie den Vater von vier Kindern am 27. Juli 1929 in Stuttgart.

Sie ließ sich als Assistenzärztin in der Marienstraße 25 in Stuttgart als Fachärztin mit einer Praxis für Haut- und Harnleiden, Beinleiden und Kosmetik nieder. Der Praxis war eine kleine Station mit sechs bis acht Betten angeschlossen, auf der eine Krankenschwester Dienst tat. Hier konnte Else neben dem normalen Praxisbetrieb kleine Operationen auf dem Gebiet der Wiederherstellungschirurgie durchführen. Hierbei handelte es sich um Unfall- oder Brandnarben, Kinder mit Wolfsrachen oder abstehenden Ohren, entstellende Kriegsnarben (diese wurden gemildert) oder um Schauspieler und -innen, die sich Nase oder Brust verschönern lassen wollten.

Verhaftung

Im Rahmen der heraufziehenden Depression musste Stefan Jacobowitz 1930 die Württembergische Privatbank verkaufen. Er ging nach Berlin. Da Else Kienle gewerblich illegal Abtreibungen vorgenommen hatte, wurde sie Mitte Dezember 1930 anonym angezeigt. Deswegen wurde sie am 19. Februar 1931 zusammen mit dem Arzt und Schriftsteller Friedrich Wolf verhaftet und saß in Einzelhaft. Else Kienle wurde zu insgesamt 210 Fällen vernommen, jeden Tag mehrere Stunden lang. Als sie am 21. März immer noch inhaftiert war, begann sie einen Hungerstreik. Am Morgen des 27. März fiel sie, bedingt durch die fehlende Nahrung, in eine lange Ohnmacht. Nachdem sie sich geweigert hatte, in ein Krankenhaus eingeliefert zu werden, wurde sie nach vielen Telefonaten des Untersuchungsrichters mit dem Oberstaatsanwalt am nächsten Tag um 16 Uhr wegen Haftunfähigkeit entlassen. Sie beschloss, in Frankfurt am Main eine neue Praxis zu eröffnen, da in dieser Stadt zwei Bekannte lebten. Zunächst aber wurden Else Kienle und Friedrich Wolf nach ihrer Freilassung von der Bewegung des Paragraphen 218 vereinnahmt. Sie sprachen für den „Kampfausschuss“ auf vielen Versammlungen im ganzen Land. Am 15. April 1931 fand die größte dieser Kundgebungen im Berliner Sportpalast mit weit über 100.000 Menschen statt.

Im Mai 1931 wurden beide sogar von der sowjetischen Ärzte- und Schriftstellerorganisation in die Sowjetunion eingeladen. Als Else Kienle wieder zurückkam, eröffnete sie in Frankfurt in der Bockenheimer Landstraße 63 ihre Praxis. Sie arbeitete aber immer noch am Kampf gegen den Abtreibungsparagraphen mit und nahm weiterhin Schwangerschaftsabbrüche vor. Im Herbst 1932 erhielt sie einen Hinweis, dass sie mit einer erneuten Verhaftung rechnen müsse. Sie fühlte sich nicht mehr sicher und floh über Saarbrücken nach Frankreich. Der Grund für ihre Flucht lag höchstwahrscheinlich darin, dass sie am 16. März 1932 bei der jungen Jüdin Edith Hofmann einen Schwangerschaftsabbruch vornahm und das Mädchen am 06. April 1932 im Langener Krankenhaus aus nicht geklärtem Grunde starb.

Flucht und zweiter Ehemann

Else Kienle musste im Herbst 1932 untertauchen. Sie wurde noch jahrelang steckbrieflich gesucht. Der letzte Steckbrief war auf den 05. April 1940 datiert. Im Januar 1933 wurde das Stuttgarter Verfahren gegen sie und Friedrich Wolf vorläufig eingestellt, der Kampf der Frauen um „Menschenwürde und Frauenwürde“ ging im Nationalsozialismus unter [1]. 1932 erschien auch ihr erstes Buch Frauen - Aus dem Tagebuch einer Ärztin. Im Laufe des Jahres 1932 wurde sie von Stefan Jacobowitz geschieden. Sie reiste an die französische Riviera und lernte dort den Amerikaner George LaRoe kennen und lieben. Er war Europa-Vertreter der Socony Oil Company und machte an der Côte d'Azur einige Tage Ferien. Durch eine Heirat mit ihm könnte sie in Amerika neu anfangen. Sie heiratete ihn und Else LaRoe, wie sie nun hieß, kam später nur noch auf Besuch nach Deutschland.

Das Ehepaar LaRoe bezog eine Wohnung in New York. Sie verbesserte ihre Sprachkenntnisse und bewarb sich um das amerikanische Arztdiplom und die Zulassung als Ärztin, weil sie wieder eine Praxis eröffnen wollte. Inzwischen arbeitete sie in einem Schönheitsinstitut, das auf medizinischer Basis arbeitete. Hier kamen ihr ihre Kenntnisse als Hautärztin zugute. Sobald sie ihre Lizenz als Ärztin und die Genehmigung zur Niederlassung hatte, eröffnete sie mit Hilfe ihres Mannes in der Park Avenue eine Praxis. Dort wohnten sie auch in einer eleganten Wohnung über zwei Etagen. Sie spezialisierte sich mit der Zeit auf plastische Chirurgie (Schönheitschirurgie). Noch nicht lange in New York, stellte Else fest, dass ihr Mann trank. Nachdem er erfolglos mehrere Entziehungskuren gemacht und er auf Grund des Alkohols beruflich keinen Neuanfang geschafft hatte, ließ sich das Ehepaar vermutlich 1936 scheiden. Allerdings behielt Else den Namen LaRoe bis an ihr Lebensende. Sie verlegte Praxis und Wohnsitz in die 62nd Street auf der Eastside in das elegante Ärzteviertel.

Dritter Ehemann

In einem Golfclub lernte sie den Zahnarzt Dr. Ernest C. Gierding kennen. Er wurde 1937 ihr dritter Ehemann. Allerdings trennte Else sich nach sehr kurzer Zeit wieder von ihm. Nach ihrer Scheidung wurde sie 1938 von ihrem Bruder Otto und ihren Eltern in New York besucht. Es war das letzte Mal, dass sie ihre Eltern sah. Ihr erster Mann, Stefan Jacobowitz, musste unterdessen aus Deutschland fliehen und ging nach Paris. Dort konnte er seinen Beruf nicht ausüben. Else reiste vor Ausbruch des Zweiten Weltkrieges 1939 nach Paris, um dort ihren Bruder noch einmal zu treffen. Dort begegneten sich die früheren Eheleute. Sie versuchte ihn zu überreden, in die Staaten auszureisen, weil er dort sicherer sei. Aber erst Ende 1940 konnte Jacobowitz sich zu diesem Schritt entschließen. Seine abenteuerliche Flucht wurde von Franz Werfel, den er auf der Flucht kennenlernte, als Buch veröffentlicht und 1958 von Peter Glenville mit Danny Kaye und Curd Jürgens in den Hauptrollen verfilmt (Jakobowsky und der Oberst). Das Stück wurde am Broadway aufgeführt.

Else Kienle machte sich in New York einen Namen als Dermatologin und Schönheitschirurgin, vor allem im Bereich der Wiederherstellungschirurgie. Da im Krieg jeglicher Kontakt zu ihrer Familie abgebrochen war, begann sie sofort nach Kriegsende damit, diesen wiederherzustellen. Bald erhielt sie eine erste Nachricht ihres Vaters. Ihre Mutter war 1944 verstorben. Da sich die Erteilung eines Visums für das besetzte Deutschland als sehr schwierig gestaltete, konnte sie ihren Vater nicht mehr wiedersehen. Er starb 1946. Erst 1949 konnte sie ihren Bruder in Stuttgart besuchen. 1946 traf Else ein weiterer Schicksalsschlag. Stefan Jacobowitz rief sie nach einem Herzanfall zu sich. Sie konnte sein Leben trotz Hilfe eines hinzugezogenen Herzspezialisten nicht retten.

Vierter Ehemann

Etwa zwölf Jahre nach der kurzen Ehe mit Gierding lernte sie bei einem Kollegen einen ungewöhnlichen Mann kennen. Sein Name war Ish-Ti-Opi[2], Angehöriger des Choctaw-Stammes in Oklahoma. Dieser Mann, der bürgerlich Wesley L. Robertson hieß, war bis zum Krieg als Konzertsänger tätig. Durch eine schwere Verwundung nach dem Krieg konnte er seine Konzerttourneen nicht wieder aufnehmen und arbeitete nun als Modezeichner. Trotz ihrer unterschiedlichen Herkunft verbanden die beiden viele gemeinsame Interessen. 1950 heirateten sie. Sie führten eine glückliche Ehe.

1957 und 1958 besuchten Else und Wesley ihren Bruder und dessen Frau in Stuttgart. 1966 reiste Else zum letzten Mal nach Deutschland. Damals war ihre Gesundheit schon sehr angegriffen, und die weite Reise machte ihr große Beschwerden. Es zog Else und ihren Mann vermehrt nach Mexiko. Nach verschiedenen Reisen, vor allem an die Westküste Mexikos, kaufte sie ein Haus in Guernavaca, wo sie viel Zeit verbrachten. Else Kienle reiste nur nach New York zurück, um die inzwischen von ihrer Sekretärin vereinbarten Operationstermine wahrzunehmen. Durch hochspekulative Investitionen, die sie durch betrügerische Mittelsmänner machte, verlor sie viel Geld. Sie musste sogar ihr Haus in Guernavaca verkaufen.

1957 schrieb Else ihr zweites Buch Woman Surgeon, das 1968 als deutsche Ausgabe unter dem Titel Mit Skalpell und Nadel erschien.

Tod

1968 starb Wesley Robertson. Nur zwei Jahre nach ihrem Mann, am 08. Juni 1970, starb Else Kienle in New York. Genau wie ihr Mann wurde auch sie eingeäschert und in dessen Heimat Oklahoma beigesetzt.

Sonstiges

In Neumünster/Schleswig-Holstein wurde eine Straße nach ihr benannt.

Werke

  • Frauen - Aus dem Tagebuch einer Ärztin. Berlin 1932. 2. Auflage, Schmetterling Verlag, Stuttgart 1989, ISBN 3-926369-10-8
  • Mit Skalpell und Nadel. Albert Müller Verlag, Rüschlikon-Zürich 1968. Erschienen unter ihrem Ehenamen Else K. LaRoe

Literatur

  • Verena Steinecke: Ich mußte zuerst Rebellin werden. Schmetterling Verlag, Stuttgart 1992, ISBN 3-926369-16-7

Fußnoten

  1. a b c Verena Steinecke: Ich mußte zuerst Rebellin werden
  2. Bei der Biografin Verena Steinecke steht Isch-tai-Opai
 
Dieser Artikel basiert auf dem Artikel Else_Kienle aus der freien Enzyklopädie Wikipedia und steht unter der GNU-Lizenz für freie Dokumentation. In der Wikipedia ist eine Liste der Autoren verfügbar.
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