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Unaufmerksamkeitsblindheit



Blindheit wegen Unaufmerksamkeit oder Unaufmerksamkeitsblindheit wird in der englischsprachigen Literatur als Inattentional Blindness bezeichnet.

Oft bemerken wir selbst größere Veränderungen an den Objekten in unserer Umgebung nicht (Veränderungsblindheit, change blindness). Weiterhin kann es passieren, dass wir sogar die Objekte selbst nicht wahrnehmen (Inattentional Blindness). Zusammengefasst legen diese Feststellungen den Schluss nahe, dass wir nur diese Objekte und Details wahrnehmen oder bemerken, auf die wir unsere Aufmerksamkeit richten. Grund dafür ist die eingeschränkte Verarbeitungskapazität unseres Gehirns. Es muss also selektieren, welche Informationen relevant sind und welche weniger. Erst indem wir unsere Aufmerksamkeit einem Reiz zuwenden, wird uns dieser bewusst. Die Ausrichtung der Aufmerksamkeit beeinflusst die Aktivität bestimmter Gehirnstrukturen.

Inhaltsverzeichnis

Experimente von Mack und Rock

Mack und Rock (1998) stellten ihre Versuchspersonen zunächst vor die Aufgabe zu entscheiden, ob die horizontale oder die vertikale Linie eines für 200 ms gezeigten Kreuzes länger sei. Im dritten Durchgang des Experiments wurde unerwartet ein anderer Stimulus (z. B. ein kleines Quadrat) eingeblendet. Anschließend wurden die Versuchspersonen gefragt, ob sie diesen gesehen hätten. Etwa 25 Prozent antworteten mit Nein. Diese „sehende Blindheit“ scheint daher zu rühren, dass die Versuchspersonen den Stimulus nicht erwartet haben und sich auf etwas anderes, nämlich das Kreuz konzentrierten. Mack und Rock nennen dieses Phänomen Inattentional Blindness bzw. auf Deutsch Unaufmerksamkeitsblindheit.

Da sie davon ausgehen, dass es keine bewusste Wahrnehmung ohne Aufmerksamkeit gibt, kommen sie zu dem Schluss, dass die anderen Stimuli die Aufmerksamkeit von 75 Prozent der Versuchspersonen geweckt und somit auf sich gezogen haben.

„Gorillas in unserer Mitte“ (Simons und Chabris)

Die Studie „Gorillas in unserer Mitte“ der University of Illinois beweist, dass urbane Menschen selbst einen vorbeigehenden Menschen im Gorillakostüm übersehen können.

Aufbauend auf klassischen Studien zur geteilten visuellen Aufmerksamkeit und Bezug nehmend auf Unaufmerksamkeitsblindheit von Mack und Rock untersuchen Simons und Chabris in ihrem Artikel „Gorillas in unserer Mitte“ das Phänomen der Unaufmerksamkeitsblindheit für komplexe Objekte und Ereignisse in bewegten Szenen. Die Ergebnisse der Untersuchung legen nahe, dass die Wahrscheinlichkeit, ein unerwartetes Objekt zu bemerken, sowohl von der Ähnlichkeit dieses Objekts mit den anderen präsentierten Objekten als auch von der Schwierigkeit der ursprünglichen Beobachtungsaufgabe abhängt.

Simons und Chabris verweisen auf verschiedene Studien (u. a. Ulrich Neisser 1979, Grimes 1996, Mack & Rock 1998), die gezeigt haben, dass bewusste Wahrnehmung Aufmerksamkeit zu verlangen scheint.

Das Material für Simons’ und Chabris’ Experiment zum Unaufmerksamkeitsblindheits-Phänomen sind vier Videos von jeweils 75 s Dauer. Jeder Film zeigt zwei Teams mit je drei Spielern, eins trägt weiße, das andere schwarze T-Shirts. Die Mitglieder jedes Teams spielen sich einen normalen orangefarbenen Basketball durch Werfen oder Dribbeln zu. Nach 44 bis 48 s ereignet sich etwas Unerwartetes: In der Regenschirmfrau-Version (Umbrella Woman) geht eine große Frau mit einem aufgespannten Regenschirm von links nach rechts durch das Geschehen. In der Gorilla-Version läuft eine kleinere Frau, die vollständig in ein Gorillakostüm gehüllt ist, auf die gleiche Weise durchs Bild. Während dieser unerwarteten Ereignisse setzen die Basketballspieler ihre Aktionen unbeirrt fort.

Weiterhin gibt es die Videos in jeweils zwei Stilen: in einer transparenten Version (Transparent condition) und einer undurchsichtigen (Opaque condition). Für Erstere wurden weißes und schwarzes Team sowie der „Zwischenfall“ zunächst separat gefilmt, anschließend teilweise transparent gemacht und mithilfe digitaler Nachbearbeitung übereinander gelegt. Für die undurchsichtige Version wurden alle sieben Akteure gleichzeitig gefilmt. Herausgekommen sind vier Filme: Transparent/Umbrella Woman, Transparent/Gorilla, Opaque/Umbrella Woman, Opaque/Gorilla.

An dieser Stelle sei der Hinweis angebracht, dass die erste Versuchsanordnung (Transparent/Umbrella Woman) der von Neisser (1979) entspricht, die Simons und Chabris in ihrem Artikel auch beschreiben.

Bevor sie ein Video sehen, erhalten die Versuchspersonen die Aufgabe, sich entweder auf das Team in Weiß oder das in Schwarz zu konzentrieren und sämtliche Ballwechsel des beobachteten Teams im Kopf mitzuzählen (Easy condition) bzw. die geworfenen und die gedribbelten Ballwechsel getrennt zu zählen (Hard condition). Nachdem die Versuchspersonen das Video gesehen und ihren Beobachtungsauftrag erfüllt hatten, wurden sie gebeten, ihre Zahlen niederzuschreiben. Anschließend fragte man sie, ob ihnen (a) während des Zählens etwas Ungewöhnliches aufgefallen sei, (b) ob sie noch etwas anderes als die sechs Spieler bemerkt hätten, (c) ob jemand anders im Video aufgetreten sei, schließlich: (d) Hast du einen Gorilla (eine Frau mit Regenschirm) durch das Bild gehen sehen?

Letztendlich blieben für die Auswertung 192 Versuchspersonen übrig (einige mussten ausscheiden, weil sie ein ähnliches Experiment bereits kannten, vergaßen mitzuzählen usw.), von denen, quer durch alle o. g. Versionen des Films, 54 Prozent den „Zwischenfall“ bemerkten und 46 Prozent nicht. (Simons und Chabris schlüsseln die Ergebnisse auf nach Transparent und Opaque condition, Easy und Hard condition.)

Interessant ist, dass die Frau mit dem Regenschirm öfter entdeckt wurde als die im Gorillakostüm (65 % versus 44 %). Und weiter: Die Versuchspersonen, die das schwarze Team beobachteten, bemerkten den Gorilla öfter als die, die das weiße Team im Fokus ihrer Aufmerksamkeit hatten (Schwarz 58 %, Weiß 27 %). Allerdings machte es für das Entdecken der Frau mit dem Regenschirm nur einen kleinen Unterschied, ob weiße oder schwarze Ballwechsel gezählt wurden (Schwarz 62 %, Weiß 69 %). Der Gorilla war schwarz, während die Frau mit dem Regenschirm hell gekleidet war und sich vom schwarzen wie vom weißen Team gleichermaßen abhob.

Ergebnisse

  • Ungefähr die Hälfte der Versuchspersonen nehmen ein länger dauerndes, eigentlich sehr auffälliges, jedoch unerwartetes Ereignis nicht wahr, wenn sie mit einer elementaren Beobachtungsaufgabe beschäftigt sind.
  • Die Höhe der Inattentional Blindness hängt ab vom Schwierigkeitsgrad der Beobachtungsaufgabe.
  • Die Versuchspersonen nehmen eher Notiz von einem unerwarteten Ereignis, wenn dieses wesentliche visuelle Merkmale (wie Farbe) mit der zu beobachtenden Situation teilt – ein Widerspruch zum traditionellen Pop-out-Phänomen in visuellen Suchaufgaben (und im Gegensatz zu Neisser, 1979).
  • Objekte können sich direkt durch das Zentrum der Aufmerksamkeit bewegen (foveales Sehen) und werden trotzdem nicht „gesehen“, wenn wir ihnen keine spezielle Aufmerksamkeit entgegenbringen.

Literatur

  • Neisser U. (1979): The control of information pickup in selective looking, in Perception and its Development: A Tribute to Eleanor J Gibson. Ed. A D Pick (Hillsdale, NJ: Lawrence Erlbaum Associates) pp 201-219
  • Grimes J. (1996): On the failure to detect changes in scenes across saccades, in Perception (Vancouver Studies in Cognitive Science) Ed. K Akins, volume 2 (New York: Oxford University Press) pp 89-110
  • Mack, A., Rock. I. (1998): Inattentional Blindness (Cambridge, MA: MIT Press)
  • Simons, D.J., & Chabris, C.F. (1999): Gorillas in our midst: Sustained inattentional blindness for dynamic events. Perception, 28, 1059–1074.
 
Dieser Artikel basiert auf dem Artikel Unaufmerksamkeitsblindheit aus der freien Enzyklopädie Wikipedia und steht unter der GNU-Lizenz für freie Dokumentation. In der Wikipedia ist eine Liste der Autoren verfügbar.
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