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Praktische Ethik



Praktische Ethik (Original: Practical Ethics) ist der Titel eines erstmals 1979 erschienenen Buches von Peter Singer, in dem er seinen präferenzutilitaristischen ethischen Ansatz skizziert und Schlussfolgerungen für Problemfelder angewandter Ethik begründet, darunter Tierethik, Lebenswert von Embryos sowie weitere bioethische Themen. Es wurde in viele Sprachen übersetzt und sorgte insbesondere in Deutschland, Österreich und Schweiz für heftige Diskussionen über den Wert menschlichen Lebens. Das Buch wurde 1993 überarbeitet und in einer zweiten Ausgabe zwei neue Kapitel über die Asylproblematik und ökologische Fragen hinzugefügt.

Inhaltsverzeichnis

Themen des Buches

Gleichheit und Interessen

Peter Singer erklärt in dem Kapitel Gleichheit und ihre Implikationen das Prinzip der gleichen Interessenabwägung. Demnach bedeutet Gleichheit nicht, alle gleich zu behandeln, sondern alle Interessen gleich zu berücksichtigen. Eine Berücksichtigung der Spezies bei der Interessenabwägung ist unberechtigt. Entscheidend ist nicht, ob ein Wesen zur Spezies Mensch gehört, sondern welche Interessen es besitzt. So ist beispielsweise die Fähigkeit, Schmerz zu empfinden, gekoppelt mit dem Interesse, keine Schmerzen zu erleiden. Nach Singer gibt es keinen ethischen Grund, Interessen von Lebewesen nicht gleich zu behandeln. Um sinnvoll von Interessen sprechen zu können, setzt er die Fähigkeit Schmerz und Glück zu empfinden, als Voraussetzung für Interessen fest. Lebewesen, die keinen Schmerz empfinden können, haben auch keine Interessen und somit auch keine Interessen, die verletzt werden könnten.

Der Personenbegriff

Im Anschluss an John Locke entfaltet Singer seinen Personenbegriff. Dies ist konstitutiv für seinen ethischen Ansatz. Eine Person ist demnach ein Lebewesen, das sich seiner selbst bewusst, empfindungsfähig und autonom ist sowie ein Interesse an etwas hat. Es muss außerdem Wünsche für die Zukunft haben können und sich der Vergangenheit und Gegenwart bewusst sein. Es geht um ein kontinuierliches Identitätsbewusstsein über die Zeit hinweg, also als eine „distinkte Entität in der Zeit“.

Singer unterscheidet drei Kategorien von Wesen:

  • nicht bewusste Wesen, z. B. Pflanzen. Diesen Wesen sind keine Rechte zuzusprechen.
  • bewusste Wesen, z. B. Fische, die empfindungsfähig sind. Sie haben ein Recht auf Leidensminderung.
  • selbstbewusste Wesen, (Personen) z. B. ausgewachsene Menschen und Menschenaffen (sofern keine geistige Beeinträchtigung vorliegt). Sie haben ein Interesse, sind daher Personen im Vollsinn und haben alle Rechte im Sinne ihrer Interessen.

Tiere

Eine Konsequenz dieses Ansatzes ist es, dass die Interessen aller Tiere ebenso berücksichtigt werden müssen, wie die Interessen von Menschen. Dies hat besonders Auswirkungen auf die moderne Massentierhaltung und Tierversuche, bei denen die Tiere gequält werden und damit ihr Interesse, keinen Schmerz zu empfinden, missachtet wird.

Die verschiedene Berücksichtigung von Interessen aufgrund der Angehörigkeit zu einer Spezies (zum Beispiel Menschen, die ihre Interessen als höherwertig im Vergleich zu Tieren einstufen), bezeichnet Singer in Anlehnung an Begriffe wie Rassismus oder Sexismus als Speziesismus.

Weshalb ist Töten Unrecht?

Weshalb das Töten eines Lebewesens unrecht ist, hängt nach Peter Singer nicht von der Spezies (z. B. ob das Lebewesen ein Mensch ist, oder nicht), sondern von dem Bewusstseinszustand ab. Während die Tötung eines bewussten Wesens im Normalfall eine Missachtung des Interesses weiterzuleben ist, ist die Tötung einer Person schwerwiegender. Da Personen sich ihrer Zukunft bewusst sind und Wünsche für ihre Zukunft haben, stellt die Tötung einer Person die Vereitelung der Erfüllung der Wünsche dar. Zudem ist die Tötung eines Lebewesens in den seltensten Fällen schmerzfrei, dieser Schmerz muss zusätzlich berücksichtigt werden.

Das Töten von Embryonen, Föten und Neugeborenen

Bei dem Heranwachsen einer befruchteten Eizelle über den Fötus zum Säugling gibt es keine klare Trennlinie. Singer stellt fest, dass die gängigen Trennlinien wie Geburt, Bewusstsein oder Lebensfähigkeit des Fötus in Bezug auf das Tötungsverbot keinen moralischen Unterschied machen.

Denn bei jedem fairen Vergleich moralisch relevanter Eigenschaften wie Rationalität, Selbstbewußtsein, Bewußtsein, Autonomie, Lust- und Schmerzempfindung, und so weiter haben das Kalb, das Schwein und das viel verspottete Huhn einen guten Vorsprung vor dem Fötus in jedem Stadium der Schwangerschaft [...]. (S. 196f)

Für Singer ist das wichtigste Kriterium die Leidensfähigkeit des Fötus, die ab einem bestimmten Zeitpunkt einsetzt. Die ernsthaften Interessen einer Frau würden daher normalerweise jederzeit vor den rudimentären Interessen selbst eines bewussten Fötus Vorrang haben (S. 197).

Arm und reich

Laut Singer ist es nicht moralisch zu rechtfertigen, dass einige wenige Menschen im Überfluss leben, während viele andere Menschen in Armut verhungern. Er tritt dafür ein, dass Menschen, die es sich leisten können, 10 % ihres Einkommens spenden sollten, um dieser Ungleichverteilung entgegen zu wirken. Zu dieser Forderung kommt er nach einem Diskurs über die Fragestellung: Was ist moralisch schlimmer? Töten oder sterben lassen? unter dem Gesichtspunkt, dass im Falle wirtschaftlichen Überflusses ein Nicht-Spenden dem Sterben-Lassen gleichkomme. Bei den Spenden wiege der entstehende Nutzen den vergleichsweise geringen Verlust des Gebers auf.

Er selbst führt 20-30 % seines Einkommens an Oxfam und UNICEF ab.

Asylproblematik

Singer führt in dem Kapitel Die drinnen und die draußen Argumente für die Aufnahme von mehr Flüchtlingen in die reichen Industrieländer. Ähnlich wie in dem Kapitel Arm und reich vertritt er die Meinung, dass mehr Flüchtlingen geholfen werden muss, auch wenn dies eine Verminderung des in Europa und Amerika üblichen Luxus bedeutet.

Zwecke und Mittel

Verschiedene Arten von Gewalt werden in dem Kapitel Zwecke und Mittel erörtert. Dabei unterscheidet Singer zwischen zivilem Ungehorsam, Gewalt gegen Sachen und Gewalt gegen Lebewesen. Außerdem spielt für ihn eine Rolle, ob die Gewalt in einer Demokratie oder einem anderen System stattfindet. Zivilen Ungehorsam sieht er sehr oft als gerechtfertigt, während Gewalt gegen Personen nur in Extremfällen, wie zum Beispiel als Widerstand in der Zeit des Nationalsozialismus rechtfertigbar ist.

Kritik

Insbesondere in Deutschland, Österreich und der Schweiz wurde Peter Singer für das Buch stark kritisiert. Seine Vorlesungen an Universitäten wurden gezielt gestört und die Veranstalter durch Proteste zum Abbruch gezwungen. Insbesondere Behindertenorganisationen werfen Singer „Menschenverachtung“ vor. Die Gegner Singers rechtfertigen ihre ablehnende Haltung zu einer Diskussion mit der „Unantastbarkeit des menschlichen Lebens“ und verweisen auf die Aktion T4 zur Zeit des Nationalsozialismus, in der Leben ebenfalls „bewertet“ wurde und 100.000 Behinderte getötet wurden.

Singer schildert die Debatte aus seiner Sicht in einem Anhang der zweiten Ausgabe von Praktische Ethik. Dort kritisiert er beispielsweise die fehlende Diskussionsbereitschaft darüber, was die Rede von „absoluter Menschenwürde“ und „Wert des Lebens“ eigentlich meint, worauf sie gründet und was dies zur Folge haben sollte.

Literatur

  • Peter Singer: Practical Ethics. Deutsch: Praktische Ethik. 2. Auflage. Reclam, Stuttgart 1993, ISBN 3-15-008033-9.
  • Kurt Wuchterl: Streitgespräche und Kontroversen in der Philosophie des 20. Jahrhunderts. Haupt, UTB, Bern/Stuttgart/Wien 1997, ISBN 3-8252-1982-8.
  • Dale Jamieson (Hrsg.): Singer and His Critics. Blackwell, Oxford 1999, ISBN 155786909X.
 
Dieser Artikel basiert auf dem Artikel Praktische_Ethik aus der freien Enzyklopädie Wikipedia und steht unter der GNU-Lizenz für freie Dokumentation. In der Wikipedia ist eine Liste der Autoren verfügbar.
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