Einer Arbeitsgruppe in der Neurologischen Klinik des Essener Universitätsklinikums ist es gelungen, aus
Blutstammzellen Nervenzellen zu
differenzieren (oder zu entwickeln). Kann man diesen Satz noch etwas vorsichtiger ausdrücken? Die Wissenschaftler verknüpfen damit die
Hoffnung, diese
Zellen künftig bei der Therapie neurologischer Erkrankungen, etwa des Schlaganfalls, der Alzheimer-Erkrankung, der
Parkinsonkrankheit oder auch der
Epilepsie, einsetzen zu können. Damit ist, wie der Leiter der Arbeitsgruppe, der stellvertretende Direktor
der Klinik, Professor Dr. Andreas Hufnagel, gestern in einem Pressegespräch betonte, auf breiterer Basis frühestens in fünf Jahren zu rechnen.
Erste klinische Pilot-Studien könnten nach erfolgreichen Versuchen am Tiermodell vielleicht in zwei bis drei Jahren beginnen.
Die Forschungsaktivitäten der Neurologen im Essener Klinikum sind eingebunden in ein umfangreiches Kooperationsprojekt, an dem sich
zahlreiche Einrichtungen der theoretischen und praktischen
Medizin beteiligen. Ziel ist es, die beachtlichen Kompetenzen der Wissenschaftler
bei der Erforschung adulter
Stammzellen zu bündeln und schnell auf einen internationalen Stand zu führen. Das Universitätsklinikum verfüge,
sagte gestern Anatomieprofessorin Elke Winterhager, amtierende Prodekanin für Forschung an der Essener Medizinischen Fakultät, über ein
exzellentes wissenschaftliches Potenzial für die Blutstammzellforschung und den thera-peutischen Einsatz von zu verschiedenen Zelltypen
programmierten Blutstammzellen. Insbesondere könne das Klinikum auf die mehr als 25-jährige Erfahrung als eines der führenden und
größten Zentren für die Knochenmarkstransplantation zurückgreifen.
Neben der Neurologischen Klinik und der Klinik für Knochenmarktransplantation sind auch die Tumorklinik und die Strahlenklinik, die
Abteilungen für
Gastroenterologie und Hepatologie, für
Hämatologie und für
Kardiologie sowie das Institut für Pathophysiologie an dem
Forschungsverbund beteiligt.
Aktueller Kenntnisstand der Wissenschaft ist es, dass multipotente Stammzellen nicht nur im Knochenmark, sondern an vielen anderen Stellen
im Organismus zu finden sind und dass sie nicht an einem Ort bleiben, sondern sich bewegen. Tun sie das - als eine Art Eingreiftruppe -, weil
Krankheitssymptome im Körper sie zur Intervention veranlassen? Der Direktor der Abteilung für Hämatologie, Professor Dr. Ulrich Dührsen,
verspricht sich von der Aufklärung der Signale, die Stammzellen dahin bringen, wo sie benötigt werden, wichtige Hinweise auf neue
Therapiean-sätze, etwa für Patienten in der Kardiologie. Dort ist die Überzeugung, dass Herzmuskelzellen - ebenso wie neuronale Zellen -
sich nicht teilen, fast noch ein Dogma. Es ist nicht mehr zu halten, erklärte gestern der Direktor der Abteilung für Kardiologie, Professor Dr.
Raimund Erbel. Das Wissen um Zellteilungen im Herzmuskel habe die Forschung in jüngerer Vergangenheit entscheidend stimuliert.
Fortschritte verspricht sich Erbel von der Zusammenarbeit mit den Hämatologen, während die Hepatologen für die Zukunft auf die
Möglichkeit setzen, körpereigenen Ersatz für eine erkrankte Leber zu schaffen. Denn die Leber ist regenerationsfähig und kann
Blut bilden -
nur deshalb gibt es die Möglichkeit, Teilsegmente zu transplantieren und ist die Lebendleber-Spende möglich. Stammzellen können hier zur
unterstützenden Therapie eingesetzt werden.
Wie Herzmuskelzellen galten auch neuronale Zellen als nicht teilbar. Aber im Gehirn auch erwachsener Menschen sind in den letzten Jahren
Stammzellen nachgewiesen worden, die abgestorbene Zellen ersetzen können. Diese Zellen sind charakterisiert worden: Sie weisen an ihrer
Oberfläche bestimmte Rezeptoren auf. Die Arbeitsgruppe von Professor Dr. Andreas Hufnagel hat im Knochenmark von Patienten nach
Stammzellen gesucht, die diese Rezeptoren ebenfalls aufweisen. Diese Zellen wurden aussortiert und in Kultur genommen. Unter optimalen
Wachstumsbedingungen ist es gelungen, die Zellzahl um etwa den Faktor 20.000 zu erhöhen.
Mit Hilfe verschiedener Wachstumssubstanzen regten die Neurologen die Zellen an, sich in Richtung von Nervengewebe, also in
Nervenzellen und in Hüllzellen (Gliazellen) um Nervengewebe zu entwickeln. Die Zellen bildeten innerhalb von etwa sechs Stunden
mikroskopisch sichtbare, für Nervenzellen charakteristische Merkmale aus. Darüber hinaus ließen sich auch gesteigerte Mengen
verschiedener
Proteine zeigen, die typisch für Nervengewebe sind. Die genaue funktionelle Charakterisierung der in Kultur erzeugten Zellen
ist jetzt Gegenstand der Forschung.
Nach den bisherigen Forschungsergebnissen sehen die Arbeitsgruppen am Essener Universitätsklinikum die Notwendigkeit, die
Möglichkeiten adulter Stammzellen verstärkt zu erforschen und diese mit denjenigen embryonaler Stammzellen zu vergleichen. Die bisherigen
Arbeitsergebnisse bedeuten nach Ansicht der Wissenschaftler nicht, dass die Forschung an embryonalen Stammzellen künftig überflüssig ist.
Vielmehr sollte, erklärte Professor Hufnagel, die Forschung an beiden Stammzellarten vorangetrieben werden, um das ganze Spektrum der
Möglichkeiten für die Entwicklung von
Therapien bisher unheilbarer Krankheiten nutzen zu können.