Wie passen sich Bakterien an?

Bakterieller Kontrollmechanismus zur Anpassung an wechselnde Bedingungen

15.12.2017 - Deutschland

Eine der grundlegenden Voraussetzungen für das Leben auf der Erde ist die Fähigkeit der Lebewesen, sich an wechselnde Umgebungsbedingungen anzupassen. Physiker der Technischen Universität München (TUM) und der Universität von Kalifornien in San Diego (UCSD) haben nun herausgefunden, dass die Regelmechanismen, die ein Bakterium nutzt, um sich an unterschiedliche Umgebungen anpassen, auf einem globalen Kontrollprozess basieren und sich mit einer einzigen Gleichung beschreiben lassen.

Schink und Gerland / TUM

Modell des Fließgleichgewichts: Die Substrate S1 und S2 werden von den Aufnahme-Proteinen C1 und C2 aufgenommen. Dies erzeugt den Nahrungsfluss (1). Aus den Precursorn (2a), die aus der Nahrung gewonnen werden, synthetisieren die Ribosomen Proteine (2b). Jeder der weißen nummerierten Kreise symbolisiert einen biochemischen Prozess, der zur Anpassung der Zelle führt.

Johannes Wiedersich / TUM

Werden Bakterienkulturen mit wechselndem Nährstoffangebot versorgt müssen sie darauf reagieren und ihren Stoffwechsel anpassen. Unzählige solcher Experimente waren nötig, um den globalen Kontrollmechanismus aufzuschlüsseln.

Schink und Gerland / TUM
Johannes Wiedersich / TUM

Auf der Erde ändern sich Umweltbedingungen wie Temperatur, Licht, Verfügbarkeit von Nahrung und viele andere Parameter dauernd. Jeder Organismus und sogar jede Zelle hat daher unzählige Mechanismen, um sich diesen Änderungen anzupassen.

Eines der am besten untersuchten Beispiele ist Escherichia Coli, ein Bakterium, das auch im Darm des Menschen lebt. Stündlich ändert sich das Nahrungsangebot. Um zu überleben, muss das Bakterium auf die wechselnden Bedingungen reagieren können.

Jacques Monod erhielt 1965 den Nobelpreis für den Nachweis, dass sich Bakterien anpassen, indem sie je nach Bedarf unterschiedliche Proteine herstellen. Beispielsweise synthetisieren sie ein Enzym zur Spaltung des Milchzuckers Laktose, wenn die Nahrung Laktose enthält.

Allerdings ist es trotz großen Interesses und gewaltiger Forschungsanstrengungen über mehr als ein halbes Jahrhundert nicht gelungen, die biochemischen Details dieses komplizierten Regelmechanismus vollständig aufzuklären und damit zu verstehen.

Kinetik der Anpassung

Die Teams von Ulrich Gerland, Professor im Physik-department der TU München und Professor Terence Hwa von der UCSD konzentrierten sich daher auf die grundsätzlichen Mechanismen der Regulierung und weniger auf die molekularen Details der Reaktionsketten. Sie stellten sich die Frage: Wie schnell passen sich Bakterien Änderungen ihrer Umgebung an?

Im Labor erforschten sie das Wachstum der Bakterien, indem sie zunächst wenig und dann plötzlich reichlich Nahrung zur Verfügung stellten – und umgekehrt. Das Wachstum der Bakterien reagiert darauf mit einer Verzögerung, die auf dem Anpassungsprozess beruht.

Versorgten sie ihre Bakterien zunächst mit einer bestimmten Sorte Nahrung und später mit anderen Nährstoffen, verlangsamt sich das Wachstum vorübergehend, obwohl immer ausreichend Nahrung vorhanden ist. Der Grund: Die Bakterien müssen zunächst ihre Verdauung umstellen. Sie passen dazu die Konzentration bestimmter Enzyme an – und deren Synthese dauert eine Zeit.

Das Modell des Fließgleichgewichts

Um die Mechanismen der Anpassung genauer aufzuklären, entwickelten die Physiker ein Modell. In einem Top-down-Ansatz verwendet dieses lediglich qualitatives Wissen über die biochemischen Details der Regulationsmechanismen. Es bilanziert den Stofffluss in der Zelle und erlaubt es, Gleichungen für den Materialtransport aufzustellen. Unter Berücksichtigung der Stoffbilanz gelang es den Wissenschaftlern, die unterschiedlichen Regelmechanismen zu einer globalen Differenzialgleichung zusammenzufassen.

„Unser Modell des Fließgleichgewichts der Regulierung beschreibt die zeitlichen Verläufe der Anpassungsprozesse an sich ändernde Nahrungsangebote wie Erhöhung, Senkung oder Wechsel des Nährstoffangebots quantitativ und ohne anpassbare Parameter richtig“, fasst Ulrich Gerland die Ergebnisse der Studie zusammen.

„Offenbar hängt die Kinetik der Wachstumsanpassung gar nicht von mikroskopischen Details der einzelnen biochemischen Reaktionen ab, sondern folgt einer globalen Strategie für die Umverteilung von Ressourcen für die Proteinsynthese“, sagt Ulrich Gerland. „Damit könnte unser theoretisches Modell auch für eine Reihe von ähnlichen kinetischen Vorgängen anwendbar sein.“

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