Sehforscher entdecken Déjà-vu-Detektoren

„Das hab ich doch schon mal gesehen“: Nervenzellen im Auge signalisieren die Wiederkehr eines Bildes

10.04.2017 - Deutschland

Wir sehen nur dann klar, wenn unser Sehsinn scharfe Bilder liefert. Dabei scheinen unsere Augen ständig in Bewegung zu sein. Mehrmals pro Sekunde springen sie, meist von uns unbemerkt, von einer Position zur anderen, um die visuelle Umgebung abzuscannen und unserem Sehsinn neue Details zu liefern. Zwischen diesen Bewegungen müssen die Augen jedoch möglichst starr verharren. So geben sie den Nervenzellen im Auge genug Zeit, um das aktuelle Bild zu verarbeiten, ohne es durch weitere Bewegungen verschwimmen zu lassen: Wir „fixieren“ den Blick.

Foto-Collage: umg

Änderungen der Blickrichtung und Blinzeln beeinflussen kontinuierlich das auf die Netzhaut fallende Abbild der visuellen Umgebung.

Die Fixierung des Blicks gelingt gesunden Augen, obwohl sie dabei ständig gestört werden, etwa durch Ermüden oder Zucken der Augenmuskulatur oder durch Blinzeln der Augenlider. Dazu muss die Augenposition ständig überprüft und gegebenenfalls korrigiert werden. Bisher ist ungeklärt, wie genau es unser Sehsystem schafft, den Blick stabil zu halten. Die nötige Information dafür scheint das Sehsys­tem selbst zu liefern. Die Fähigkeit zur genauen Fixierung nimmt bei Fehlsichtigkeit oder altersbedingter Sehschwäche ab.

Wissenschaftler an der Klinik für Augenheilkunde der Universitätsmedizin Göttingen (UMG) haben nun Nervenzellen im Auge von Mäusen entdeckt, die bei der Stabilisierung der Blickrichtung eine wichtige Rolle spielen könnten. Dabei handelt es sich um eine spezielle Gruppe von Nervenzellen, die nach einer Augenbewegung nur dann aktiv werden, wenn wieder das gleiche Bildmuster auf sie fällt wie vor der Augenbewegung. Diese Zellen melden, wenn sich im zuständigen Bereich über die Augenbewegung hinweg nichts geändert hat: Damit funktionieren sie wie „Déjà-vu“-Detektoren. Dies könnte als wichtiges Signal dafür dienen, dass eine erfolgreiche Korrekturbewegung der Augenposition stattgefunden hat.

Die Untersuchungen unter der Leitung von Prof. Dr. Tim Gollisch, Professor für „Sensory Processing in the Retina“ in der Klinik für Augenheilkunde und Forscher im Sonderforschungsbereich 889 „Zelluläre Mechanismen sensorischer Verarbeitung“ (Sprecher: Prof. Dr. Tobias Moser) an der UMG, wurden jetzt im Wissenschaftsmagazin „eLife“ veröffentlicht.

„Die Ergebnisse können zu einem besseren Verständnis beitragen, wie die Stabilisierung der Blickrichtung erfolgt und welchen Einfluss eine Abnahme der Sehstärke auf die Fähigkeit zur Fixierung hat“, sagt Prof. Gollisch, Senior-Autor der Publikation. Langfristig hoffen die Forscher, diesen Informationsfluss in visuellen Prothesen nachbauen zu können, etwa künstlichen Netzhäuten, wie sie bereits bei gewissen Formen der Erblindung getestet werden, um einen Teil des Sehvermögens wieder herzustellen.

Die Forscher haben zudem herausgefunden, auf welche Weise die besondere Nervenzell-Aktivität der „Déjà-vu“-Detektoren entsteht. Normalerweise werden diese Nervenzellen nach einer Augenbewegung durch hemmende Botenstoffe anderer Nervenzellen in ihrer Aktivität unterdrückt. Wenn jedoch das gleiche Bildmuster nach der Augenbewegung wieder auftritt, werden genau jene Nervenzellen, die diese hemmenden Signale liefern, selbst in ihrer Aktivität unterdrückt. Aus dieser doppelten Hemmung entsteht dann die Aktivierung der Nervenzellen bei einer Bildwiederkehr: eine „Minus-mal-minus-gibt-plus“-Rechnung – wie bekannt aus guten, alten Schulzeiten. Die Forscher vermuten, dass die gleichen Mechanismen zur Erkennung einer Bildwiederkehr auch beim Menschen wirken.

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