Erbgutmarkierung bei Leukämie ist nur vermeintlich krebstypisch

22.01.2016 - Deutschland

Das Muster an chemischen, „epigenetischen“ Markierungen am Erbgut von Tumorzellen weicht von dem gesunder Zellen ab. Dies galt bislang als Charakteristikum von Krebs. Bei einer Form von Blutkrebs entdeckten Wissenschaftler aus dem Deutschen Krebsforschungszentrum nun: Das Markierungsmuster der Krebszellen reflektiert zum großen Teil eher das Reifestadium der Vorläuferzellen im Moment der Krebsentstehung, als tatsächlich eine krebstypische Abweichung darzustellen. Das Ergebnis kann die Entwicklung von epigenetisch wirksamen Krebstherapien möglicherweise nachhaltig beeinflussen.

Neben der Erbinformation, die in der Basenabfolge der DNA festgelegt ist, existiert ein zweiter Code des Lebens: Chemische Veränderungen an der DNA oder an ihren Verpackungsproteinen bilden eine zusätzliche Regulationsebene, die darüber entscheidet, welche Gene abgelesen werden. Wichtigstes Element dieses „epigenetischen“ Codes ist die Markierung bestimmter DNA-Bereiche mit Methylgruppen.

Seit langem wissen Krebsforscher, dass sich Tumoren und ihre Ursprungsgewebe im Methyl-Muster unterscheiden. Allerdings bestehen auch im gesunden Körper beträchtliche Unterschiede in der Methylierung: zwischen den verschiedenen Zellarten innerhalb eines Organs, und, wie Wissenschaftler erst kürzlich zeigten, auch zwischen den verschiedenen Reifestadien eines Zelltyps. „Bei den B-Zellen betreffen diese reifungsbedingten Differenzen 30 Prozent des gesamten Erbguts“, sagt der Epigenetiker Christoph Plass vom Deutschen Krebsforschungszentrum.

Das Reifungsprogramm der zum Immunsystem zählenden B-Zellen ist außergewöhnlich detailliert untersucht und verstanden. Christoph Plass und Kollegen aus Heidelberg, Essen, Ulm und den USA wollten nun anhand des Methyl-Musters herausfinden, welches Entwicklungsstadium der B-Zellen den Ursprung für die chronisch-lymphatische B-Zell-Leukämie (CLL) darstellt.

Dazu nahmen sie Blutproben von 268 CLL-Patienten, trennten die Blutzellen im Zellsorter anhand bestimmter B-Zell-Reifungsmarker und analysierten die Methylierungsmuster jedes einzelnen Reifestadiums.

Das erstaunliche Ergebnis war: Eine CLL kann aus so gut wie allen Reifestadien entstehen. Die massiven Methylierungsunterschiede, die bislang für krebstypisch erachtet wurden, reflektieren tatsächlich eher das charakteristische Muster der Entwicklungsstadien zum Zeitpunkt der Entartung. Diese Methyl-Muster friert die Zelle quasi ein, danach kommen nur noch wenige Veränderungen hinzu, die wirklich krebstypisch sind. Das Forscherteam stellte fest, dass Leukämien, die aus fortgeschrittenen Reifungsstadien hervorgegangen waren, deutlich besser auf die Therapie ansprachen.

Die Diskrepanzen zu vorangegangenen Untersuchungen erklären sich die Wissenschaftler damit, dass früher Leukämiezellen mit dem gesamten Pool an B-Zell-Reifestadien verglichen worden sind. „Man hat alle Unterschiede auf den Krebs geschoben“, sagt Christoph Plass und räumt ein, dass im Licht des aktuellen Ergebnis‘ manche ältere Arbeit zum Krebs-Epigenom neu interpretiert werden müsse.

Krebsmediziner diskutieren die epigenetischen Unterschiede zwischen gesunden Zellen und Krebszellen schon lange als mögliche Angriffspunkte für neuartige Therapien. Bislang waren sie beispielsweise davon ausgegangen, dass eine krebsbedingte übermäßige Methylierung die Aktivität von Genen mit krebsbremsenden Eigenschaften drosselt. Wirkstoffe, die das Anheften von Methylgruppen an die DNA verhindern, sollten daher das Krebswachstum aufhalten können.

Wenn nun die vermeintlich krebstypischen Methylmuster überwiegend nur die Differenzen im Rahmen des normalen Entwicklungsprogramms von Zellen widerspiegeln, müssen solche Konzepte möglicherweise neu geprüft werden.

Mithilfe mordernster bioinformatischer Methoden konnten die Wissenschaftler aus dem Team um Christoph Plass den kleinen Prozentsatz an tatsächlich krebsspezifischen Methylmustern aus der Fülle reifungsbedingter Abweichungen herausrechnen. Die biologische Bedeutung dieser wirklich krebsbedingten Differenzen müssen die Forscher nun erst sorgfältig bewerten.

„Bis vor kurzem war es technisch einfach nicht möglich, die einzelnen Reifestadien so detailliert zu untersuchen, wie wir es jetzt gemacht haben“, erklärt Christoph Plass den überraschenden Befund seiner aktuellen Analyse. „Erst mit der heute verfügbaren Sequenzierungstechnik und leistungsfähigen Bioinformatik wurde ein so detaillierter Vergleich überhaupt möglich.“

Der Epigenetiker möchte als nächstes prüfen, ob auch bei anderen Krebsarten das normale Reifungsprogramm der Zellen hinter den vermeintlich krebstypischen Methyl-Mustern steckt. Im Visier hat er vor allem andere Arten von Blutkrebs und Krebs der Prostata – ein Organ, dessen spezialisierte Zellen stetig in einem kontinuierlichen Reifungsprozess nachgeliefert werden.

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