Big Data und der „gläserne“ Patient: Exzellenzcluster „Inflammation at Interfaces“ stellt Weichen für dritte Förderperiode

04.08.2015 - Deutschland

Medizinische Forschung und Versorgung stehen vor einem Paradigmenwechsel: Neben den klassischen Diagnoseverfahren und der eigentlichen Krankenversorgung gewinnen Big Data-basierte Analysen immer mehr an Bedeutung, beispielsweise die Systemmedizin. In diesem Zusammenhang kann man von „gläsernen“ Patientinnen und Patienten sprechen, denn Forscherinnen und Forscher erhoffen sich von der Nutzung klinischer Patientendaten erhebliche Mehrwerte für eine individuell zugeschnittene Therapie bei chronischen Krankheiten. Die „individualisierte Medizin“ wird zukünftig an Bedeutung gewinnen und könnte gerade chronisch erkrankten Menschen deutlich effektivere Therapien bieten. Der Ausbau von innovativen und zukunftsweisenden Daten-Konzepten stellt daher einen Schwerpunkt des Exzellenzclusters „Inflammation at Interfaces“ im Hinblick auf eine dritte Förderperiode dar. Im Cluster existiert die deutschlandweit größte akademische OMICS IT-Infrastruktur für Hochdurchsatz-Sequenziermethoden (beispielsweise für Nukleinsäuren, Proteine und andere). Diese Systeme benötigen extrem leistungsfähige Datenautobahnen, die sich im Petabereich (1015) bewegen, um wichtige patienten-individuelle Erkenntnisgewinne zu ziehen.
 
Professor Rudi Balling, Direktor des Luxembourg Centre for Systems Biomedicine und Vorsitzender des Wissenschaftlichen Beirates des Clusters, betonte beim diesjährigen Cluster-Retreat die einzigartige Ausrichtung des schleswig-holsteinischen Exzellenzclusters: „Der Cluster ‚Inflammation at Interfaces‘ forscht am Puls der Zeit, denn entzündliche Prozesse liegen sehr vielen Krankheiten zugrunde. Insbesondere die beeindruckend schnelle Umsetzung von wissenschaftlichen Erkenntnissen in die Anwendung an Patientinnen und Patienten ist einmalig.“ Für die zukünftige Ausrichtung des Clusters im Rahmen einer weiteren Förderperiode im Bund-Länder-Programm sieht der Wissenschaftliche Beirat für die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern an den Standorten Borstel, Lübeck, Kiel und Plön den verstärkten Ausbau von Daten-Infrastrukturen als unerlässlich an. Diese böten ganz neue Möglichkeiten, um disziplin- und standortübergreifend weiterhin auf exzellent hohem Niveau zum Wohle von Patientinnen und Patienten zu forschen. Dabei sei insbesondere eine stark verzahnte Zusammenarbeit mit dem Universitätsklinikum Schleswig-Holstein und der Zugang zu den dort verorteten klinischen Daten unerlässlich. Bereits jetzt macht der Cluster seine vielfältigen Techniken zum Wohle von Problempatienten mit entzündlichen Erkrankungen an den Exzellenzzentren in Kiel und Lübeck zugänglich.
 
Wie immens wichtig die Translation der Forschungsergebnisse aus dem Exzellenzcluster in die klinische Anwendung ist, illustriert beilspielhaft die Geschichte einer Patientin: Lena ist 17 Jahre alt. Bereits kurz nach ihrer Geburt begann ein Darmleiden, das für einige Jahre nicht diagnostiziert wurde. Schwere Bauchkrämpfe, eine Wachstumsstörung und Probleme, das Gewicht zu halten, prägten die Kindheit des kleinen Mädchens. Im Alter von fünf Jahren erfolgte dann die Diagnose Morbus Crohn. Zwar konnte die Entzündungskrankheit durch verschiedenste Therapien immer wieder unterdrückt werden, jedoch kam es nie zu einer Ausheilung. Die Nebenwirkungen der Behandlungsverfahren summierten sich und isolierten Lena weiter. Als Lena den Forschenden im Entzündungscluster vorgestellt wurde, waren die behandelnden Ärzte ratlos und die Eltern verzweifelt. Clusterforscher untersuchten Lenas Blutzellen, DNA und Stuhl. Schnell fanden sie heraus, dass es in der Familie weitere Fälle mit unklaren Darmerkrankungen gab. Bereits wenige Monate nach der ersten Vorstellung stellte sich die Erleichterung ein, dass zumindest die Ursache der Probleme identifiziert war. In der Familie wurde eine genetische Variante weitergegeben, die einen Immundefekt verursachte. Erst durch eine Komplettsequenzierung der DNA, die dann in einem internationalen Netz mit der DNA anderer betroffener Kinder mit einem ähnlichen Erkrankungsverlauf verglichen wurde, konnte die Krankheit erkannt werden. Die entzündeten Schleimhäute bei Lena waren eine verzweifelte Verteidigung gegen die mikrobielle Umwelt im Darm. Die therapeutischen Konsequenzen waren eindeutig. Die nur selten angewendete Knochenmarktransplantation war die einzige Möglichkeit, in diesem Fall eine Heilung zu erreichen. Angewandte Forschung aus dem Clusters identifizierte hier die Ursache und stellte eine direkte Verbindung zu einer Therapie her.

Professor Lutz Kipp, Präsident der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel, hob in diesem Zusammenhang insbesondere die standortübergreifende Vernetzung im Cluster hervor: „Dieser einzigartige Forschungsverbund hat in den vergangenen Jahren extrem gut vernetzte Strukturen in Schleswig-Holstein aufgebaut. Diese sollten in der nächsten Förderperiode ausgebaut und insbesondere im Bereich IT-Infrastrukturen fortentwickelt
werden.“
 
Balling machte weiter deutlich, in welche Richtung sich der Forschungsverbund weiter entwickeln sollte: „In der systematischen Analyse von medizinisch-biologischen Daten und den dazugehörigen Patientendaten liegt der Schlüssel für eine erfolgreiche Weiterentwicklung des Clusters. Die Weichen für die IT-basierte Datenanalyse müssen jetzt gestellt werden, damit die Beteiligten weiterhin auf Spitzenniveau forschen und ihre Erkenntnisse in die schnelle Umsetzung für neue Therapieansätze bringen können.“

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