Neuartiger Mikrochip mit hohem Anwendungspotenzial

18.08.2014 - Deutschland

Wie kann man einen Flüssigkeitsstrahl erzeugen, der um ein Vielfaches dünner ist als ein menschliches Haar? Wie ist es möglich, den winzigen Durchmesser und die Dynamik dieses Strahls zu kontrollieren und exakt vorherzubestimmen? Ein neuartiger Kunststoff-Mikrochip bietet flexible Lösungen für dieses Problem. Dr. Martin Trebbin an der Universität Bayreuth hat ihn – in Kooperation mit einem internationalen Forschungsteam – konzipiert, im Labor gefertigt und erfolgreich erprobt. Die neue Entwicklung ist von hoher technologischer Relevanz, beispielsweise für die Mikrobioanalytik, die medizinische Wirkstoff-Forschung oder die Mikrofaserproduktion.

Dr. Martin Trebbin, Universität Bayreuth

Li.: Der Mikrochip mit Mikrokanälen und Düsen; Mitte: Struktur einer einzelnen Düse; re.: Austritt eines extrem dünnen Strahls aus der Düse. 1 Mikrometer = 1 Tausendstel Millimeter.

Feinste Transportbahnen auf engstem Raum

Der durchsichtige Kunststoff-Mikrochip ist nicht viel größer als eine 1-Cent-Münze. Er besitzt ein sehr feines System von Mikrokanälen sowie eine Düse, aus der ein extrem dünner Flüssigkeitsstrahl austreten kann. Dieser ‚Flüssigkeits-Jet‘ hat je nach Konstruktion des Chips einen Durchmesser von wenigen Mikrometern. Der von Dr. Trebbin gefertigte Chip erzeugt einen Strahl, der – unter dem Elektronenmikroskop gemessen – nur 2,46 Mikrometer dünn ist, während ein menschliches Haar rund 20 mal so dick ist. Oder anders gesagt: Würde man eine 1-Euro-Münze in 1000 übereinander liegende Scheiben zerschneiden, wäre der Strahl ungefähr so dünn wie eine dieser Scheiben. Die Flüssigkeitsmengen, die der Strahl transportiert, sind entsprechend gering. Sie liegen je nach Verwendung des Chips bei 150 bis 1000 Mikrolitern pro Stunde. Mit einer 1-Liter-Wasserflasche ließe sich ein Flüssigkeitsstrahl bei einer Flussrate von 500 Mikrolitern pro Stunde rund 12 Wochen lang durchgängig betreiben.

Kristallographische Analysen bisher unzugänglicher Proteine – neue Chancen für die Strukturbiologie und die Wirkstoff-Forschung

Seit die räumliche Struktur des menschlichen Erbguts bereits in den 1950er Jahren mithilfe der Röntgenkristallographie aufgeklärt werden konnte, wird dieses Verfahren eingesetzt, um Biomoleküle zu analysieren, die beispielsweise für den Stoffwechsel oder für Alterungsprozesse eine zentrale Rolle spielen. Weil aber die Röntgenkristallographie in der Regel zu schwache Bilder von einzelnen Proteinen liefert, war man zunächst dazu übergegangen, ausgehend von einzelnen Biomolekülen große Kristallstrukturen herzustellen. Diese Kristalle ermöglichen deutlich präzisere Einblicke in die Strukturen der Einzelmoleküle. Ihre Züchtung im Labor ist allerdings sehr zeitaufwändig, und es gibt zahlreiche Proteine, die keine Kristalle in ausreichender Größe bilden oder nur in zu geringen Mengen verfügbar sind.

In den letzten Jahren konnte die Röntgenkristallographie jedoch so weiterentwickelt werden, dass bereits kleine Mengen winziger Kristalle im Nanometerbereich ausreichen, um detaillierte Informationen über die Strukturen einzelner Proteine zu gewinnen. Derart kleine Kristalle lassen sich wesentlich einfacher herstellen, so dass jetzt eine Vielzahl zuvor unzugänglicher Proteine untersucht werden können. Bei diesen neuartigen Analysen kommen so genannte Röntgen-Freie-Elektronen-Laser – X-ray free electron laser, kurz: XFEL – zum Einsatz. Diese noch junge Technologie ist umso erfolgreicher, je effizienter es gelingt, viele solcher Nano-Proteinkristalle nacheinander den ultrakurzen Röntgenblitzen auszusetzen.

An genau diesem Punkt eröffnet der von Dr. Martin Trebbin entwickelte Mikrochip wertvolle Möglichkeiten. Die zu untersuchenden Proteine werden in spezielle Lösungen gegeben, in denen sich dann nanometergroße Proteinkristalle bilden. Im nächsten Schritt wird daraus mithilfe des Mikrochips ein Flüssigkeitsstrahl erzeugt, der außerordentlich effizient ist. Denn er ist so dünn, dass einzelne Nanokristalle nacheinander aus dem Chip austreten und nun von den blitzartigen Röntgenpulsen des Freie-Elektronen-Lasers getroffen werden können. Die dabei entstehenden seriellen Aufnahmen bieten zusammen ein präzises Bild von der dreidimensionalen Struktur des jeweiligen Proteins.

„Die Forschungsidee, die XFEL-Technologie mit einem solchen dünnen Flüssigkeitsstrahl zu kombinieren, ist erst vor wenigen Jahren geboren worden“, erklärt Dr. Trebbin. „Der Mikrochip, den wir hier in Bayreuth entwickelt haben, hat nun das Potenzial, die systematische Umsetzung der Idee der seriellen Femtosekunden-Nanokristallografie erheblich voranzubringen. Denn die Strukturen wichtiger Biomoleküle, welche zuvor nur schwer oder nicht zugänglich waren, lassen sich jetzt röntgenkristallographisch mit hoher Präzision untersuchen. Nicht allein die strukturbiologische Grundlagenforschung, sondern auch die Entwicklung neuer medizinischer Wirkstoffe können von den so gewonnenen Erkenntnissen profitieren.“

Kooperationen mit Großforschungseinrichtungen

In den nächsten Jahren will Dr. Trebbin mit dem Deutschen Elektronen-Synchrotron (DESY) in Hamburg noch enger als bisher zusammenarbeiten. Hier entsteht derzeit das „European XFEL“, ein weiträumiges und in Europa einzigartiges Forschungszentrum, das die XFEL-Technologie systematisch weiterentwickeln und anwenden wird. Auch die Kooperation mit dem LCLS-SLAC National Accelerator Laboratory in Stanford/USA, das aktuell das weltweit führende XFEL-Zentrum ist, soll in Zukunft noch weiter ausgebaut werden.

Mögliche Anwendungen in der Mikrofaserproduktion und der Verarbeitung pharmazeutischer Wirkstoffe

Über die Röntgenkristallographie hinaus zeichnen sich weitere Einsatzmöglichkeiten des neuen Mikrochips ab. Denn auch extrem dünne Fasern lassen sich damit erzeugen. Solche Fasern sind der Rohstoff für sehr dichte Gewebestrukturen, die eine außerordentliche Elastizität und Reißfestigkeit besitzen können und daher nicht nur für die Textilindustrie, sondern beispielsweise auch für die Medizintechnik hochinteressant sind. Ein prominentes Beispiel sind Fasern aus rekombinanter Spinnenseide, die an der Universität Bayreuth von Prof. Dr. Thomas Scheibel entwickelt wurden.

Nicht zuletzt erlaubt der Mikrochip die Bildung winziger Mikrotropfen oder feiner Nanosprays. Auf diese Weise kann er bei der Verarbeitung pharmazeutischer Wirkstoffe, beispielsweise bei der Sprühtrocknung, eingesetzt werden. So lässt sich die Lagerbeständigkeit von Medikamenten verbessern oder deren Freisetzung im Körper beeinflussen.

Der Luftdruck macht’s – ein weites Feld für innovative Kombinationen

Der neue Mikrochip besteht aus dem Kunststoff PDMS (Polydimethylsiloxan) und wurde mithilfe etablierter weichlithographischer Verfahren gefertigt. Seine hervorragende Leistungsfähigkeit beruht darauf, dass er nach dem Prinzip der gas-dynamischen virtuellen Düse (GDVN) konstruiert ist. Dabei wirkt Luft oder ein anderes Gasgemisch in einer exakt definierten Weise auf die Flüssigkeit ein und führt dazu, dass der Durchmesser des aus der Düse austretenden Strahls erheblich kleiner ist als der Durchmesser der Düse. Die dynamischen Eigenschaften des Strahls hängen davon ab, wie der Chip im Inneren aufgebaut ist. „Hier eröffnet sich ein weites Feld für Konstruktionen, aus denen interessante, heute noch gar nicht absehbare technische Anwendungen hervorgehen können“, meint Dr. Trebbin. Er denkt dabei auch an die Möglichkeit, eine größere Anzahl von Düsen herstellen und kombinieren zu können – sei es, dass sie nebeneinander oder hintereinander geschaltet werden.

Im Rückblick auf die bisher geleisteten Forschungsarbeiten verweist der Bayreuther Nachwuchswissenschaftler auf die enge Kooperation in den Laboratorien des von Prof. Dr. Stephan Förster geleiteten Lehrstuhls Physikalische Chemie I. „Die Forschungen am Mikrochip waren ein wesentlicher Beitrag zu meiner Dissertation. Ohne die technische und organisatorische Unterstützung, die ich dabei von den hiesigen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern erhalten habe, wäre dieses Projekt längst nicht so erfolgreich verlaufen.“ Vor kurzem hat Dr. Martin Trebbin einen Ruf auf eine W1-Juniorprofessur an der Universität Hamburg erhalten.

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