DNA-Test-Pionierin als Finalistin für den Europäischen Erfinderpreis 2019 nominiert

09.05.2019 - Deutschland

Das Europäische Patentamt (EPA) gibt die Nominierung der spanischen Wissenschaftlerin und Hochschulprofessorin Margarita Salas Falgueras für den Europäischen Erfinderpreis 2019 bekannt. Sie ist einer der drei Finalisten in der Kategorie „Lebenswerk". Damit wird ihre bahnbrechende Erfindung der schnellen und präzisen Vervielfältigung von Genbruchstücken gewürdigt: DNA-Tests, mit denen sich vollständige Genome aus kleinen Proben rekonstruieren lassen. Ein einziger Haarfollikel oder eine winzige Blutspur reichen hierfür aus. Ihre Erfindung der DNA-Vermehrung stellt eine Säule der modernen Genetik dar und findet inzwischen in Genlaboren auf der ganzen Welt und darüber hinaus Anwendung.

European Patent Office

Margarita Salas Falgueras (Spanien), nominiert für den European Inventor Award 2019 in der Kategorie Lebenswerk

Salas hat eine Technik entwickelt, mit der sich einzelne DNA-Moleküle millionenfach kopieren lassen. Kleinste Genspuren können so vermehrt werden, dass eine vollständige Genomanalyse möglich ist. Derzeit arbeitet Salas als Honorarprofessorin am Zentrum für Molekularbiologie, das an den obersten spanischen wissenschaftlichen Forschungsrat (CSIC) in Madrid angegliedert ist.

„Margarita Salas hat DNA-Tests von einem Nischenexperiment zu einem einzigartigen Alltagswerkzeug in unterschiedlichen Anwendungsbereichen der medizinischen Forschung - besonders der Onkologie - bis hin zur Archäologie und Forensik entwickelt", sagte EPA-Präsident António Campinos bei der Bekanntgabe der Finalisten des Europäischen Erfinderpreises 2019. „Ihre Erfindung hat die DNA-Sequenzierung vielen Forschern und Wissenschaftlern zugänglich gemacht und den Weg für neue Durchbrüche in der Genetik geebnet. Durch die Kommerzialisierung der Patente konnte weitere Forschung finanziert werden."

Die Gewinner des jährlichen Innovationspreises des EPA werden 2019 im Rahmen einer Galaveranstaltung am 20. Juni in Wien bekannt gegeben.

Kleiner Virus, großes Potenzial

Salas verdankt ihre Entdeckung nicht zuletzt den Arbeitsbedingungen in ihrer Heimat, mit denen sie zunächst konfrontiert war. Nach ihrer Promotion in Biochemie 1963 an der Universität Complutense in Madrid arbeitete sie drei Jahre lang mit dem Nobelpreisträger Severo Ochoa an der New York University zusammen. Danach kehrte sie in ihr Heimatland Spanien zurück, wo die Mittel für die wissenschaftliche Forschung allerdings begrenzter waren.

Mit der Unterstützung des wissenschaftlichen Forschungsrats (CISC) und einem Zuschuss des Jane Coffin Childs Memorial Fund for Medical Research aus den USA gründete Salas 1967 am CSIC in Madrid eine Forschungsgruppe für Molekulargenetik, die erste des Landes. Mit Blick auf die Kosten konzentrierte sich deren Forschung auf ein vergleichsweise einfaches, aber noch nicht hinreichend erforschtes Bakterienvirus namens phi29 - eine Entscheidung, die Salas‘ Karriere fortan bestimmen und den Weg für die moderne Genetik und Forensik ebnen sollte.

Obwohl sich die Genetik bis 1982 bereits zu einem lebendigen Forschungsgebiet entwickelt hatte, blieb das Kopieren von Erbgut nach wie vor eine Herausforderung. Neue Verfahren wie die Polymerase-Kettenreaktion (PCR), eine molekularbiologische Methode zur Vervielfältigung bestimmter DNA-Segmente, waren langsam und führten alle 9 000 Basenpaare zu mindestens einem Fehler. Salas entdeckte jedoch, dass phi29 ein Enzym, die so genannte phi29 DNA-Polymerase, produziert. Im Vergleich zu den bestehenden Alternativen ließen sich damit DNA-Moleküle deutlich schneller und viel genauer reproduzieren. Das Ergebnis: weniger als ein Fehler in einer Million Basenpaare.

Salas isolierte das Enzym und konnte nachweisen, dass es auch in menschlichen Zellen funktioniert - der Startschuss für neue bahnbrechende Anwendungen bei DNA-Tests war gefallen. Die präzise Replikation lieferte erstmals zuverlässige Ergebnisse aus kleinsten Mengen genetischen Materials. Heute wird die Technik in der medizinischen Forschung eingesetzt, um Mikroben zu untersuchen, die nicht im Labor gezüchtet werden können. Des Weiteren gibt das Verfahren Aufschluss über die frühen Stadien der Embryonalentwicklung. Onkologen ermöglicht es zudem, kleine Subpopulationen von Zellen, die Tumore verursachen könnten, zu vergrößern. Ferner hilft die Technik auch Forensikern und Archäologen: DNA-Spuren, die an Tatorten und historischen Stätten gesammelt wurden, können durch phi29 DNA-Polymerase verstärkt werden. So lassen sich Opfer, Verdächtige und sogar Fossilien identifizieren.

„Die Grundlagenforschung kann zu Anwendungen führen, die niemals hätten vorhergesehen werden können und die der Gesellschaft wirklich zugutekommen", sagt Salas.

Die United States Biochemical Corporation (USB) erkannte das Potenzial von Salas' Erfindung bereits Ende der 80er Jahre. Sie bat den CSIC und Salas darum, ein Patent anzumelden, um benutzerfreundliche DNA-Sequenzierungskits zu kommerzialisieren. 1989 reichten Salas und der CSIC folglich die erste US-Patentanmeldung zum Schutz der phi29 DNA-Polymerase und ihrer Anwendungen ein. Das Patent wurde 1991 erteilt. Die USB lizenzierte das Patent zunächst vom CSIC und vergab eine Sublizenz an Amersham Biosciences (wurde später von General Electric Healthcare übernommen). Das europäische Patent wurde 1997 erteilt.

Molekulargenetik vorangetrieben

Das Schutzrecht entwickelte sich zum profitabelsten Patent, das je vom CSIC angemeldet worden ist, und brachte zwischen 2003 und 2009 Lizenzgebühren von mehr als 6 Millionen Euro ein. Das erste europäische Patent für phi29 DNA-Polymerase ist 2009 abgelaufen, so dass nun verschiedene Unternehmen bei DNA-Amplifikationen konkurrieren. Der Markt für Produkte mit generischer phi29-DNA-Polymerase wuchs bis 2012 auf geschätzte 50 Millionen Euro - bis 2020 sollen es 156 Millionen Euro sein.

Das Patent auf die Verwendung der phi29 DNA-Polymerase war entscheidend dafür, dass Salas und ihr Team weitere Fortschritte in ihrer Forschung erzielen konnten: Angesichts begrenzter öffentlicher Forschungsmittel finanzierten die CSIC-Lizenzgebühren die Arbeiten im Labor.

Auch im Alter von 80 Jahren ist Margarita Salas noch jeden Tag an ihrer Forschungsstätte anzutreffen. Ihre späteren Patente und die laufende Forschung erweitern die Möglichkeiten der phi29 DNA-Polymerase. Dies geschieht vorrangig durch Mutanten des Virus, die effizienter und hitzebeständiger sind. Das erlaubt DNA-Amplifikation unter erweiterten experimentellen Bedingungen.

Einsatz für Frauen und Studenten

Salas nutzt ihre öffentliche Bekanntheit jedoch auch, um sich für die Grundlagenforschung und einen höheren Frauenanteil in der Wissenschaft einzusetzen. Sie selbst war die erste Professorin ihrer Abteilung und die erste Frau, die den Vorsitz am Instituto de España innehatte. Die Einrichtung bündelt die acht königlichen Akademien Spaniens. „Als ich 1961 mit meiner Doktorarbeit anfing, gab es in Spanien fast keine Frauen in der Forschung", sagt sie. „Heute beginnen in unseren Laboren mehr Frauen mit einer Promotion als Männer."

Während ihrer gesamten Karriere widmete sich die Forscherin deshalb auch dem Thema Bildung. 24 Jahre lang unterrichtete sie Studenten der Molekularbiologie an der Universität Complutense in Madrid. In dieser Zeit betreute sie mehr als 35 Dissertationen. Für ihre Arbeit wurde sie vielfach ausgezeichnet. Salas ist Mitglied in spanischen, europäischen und US-amerikanischen Wissenschaftsakademien. Mehrere Straßen in verschiedenen spanischen Städten sind nach ihr benannt.

Mit dem Wissen, dass sie die Molekulargenetik in ihr Heimatland gebracht und den Markt für DNA-Amplifikationen revolutioniert hat, sieht sie keinen Grund, ihre große Liebe aufzugeben: die Wissenschaft.

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