Europäischer Erfinderpreis 2018 vergeben: Sechs Preisträger aus sieben Ländern

Deutscher Biophysiker erhält Preis für bahnbrechende Innovationen in der Magnetresonanztomographie

08.06.2018 - Frankreich

Der deutsche Biophysiker Jens Frahm hat in Paris, Saint-Germain-en-Laye, den Europäischen Erfinderpreis 2018 in der Kategorie „Forschung“ erhalten. Damit zeichnete das Europäische Patentamt (EPA) den Max-Planck-Wissenschaftler für seine bahnbrechenden Innovationen auf dem Gebiet der Magnetresonanztomographie (MRT) aus: Die FLASH-Technik (Fast Low Angle Shot), die der Erfinder 1985 entwickelte und welche die Bildgebungszeiten von Minuten auf Sekunden reduzierte, ermöglichte eine breite Anwendung der MRT in der klinischen Praxis. Mit seiner Nachfolgeerfindung (FLASH2) werden heute sogar „MRT-Videos“ in Echtzeit von der menschlichen Physiologie erstellt.

Europäisches Patentamt

Jens Frahm, Gewinner des European Inventor Award 2018 in der Kategorie Forschung, bei der Preisverleihung am 7. Juni in Paris, Saint-Germain-en-Laye

Erik Loopstra und Vadim Banine gewinnen den Publikumspreis. Sie erhielten die meisten unter den Tausenden online abgegebenen Stimmen. Das Erfinderteam entwickelte bei ASML und mit dem deutschen Optikunternehmen ZEISS die Extrem UV-Lithografie (EUVL) zur Herstellung schnellerer und leistungsstärkerer Chips.

Insgesamt wurden sechs Preisträger aus sieben Ländern ausgezeichnet, darunter vier Erfinderinnen. Seit der erstmaligen Vergabe im Jahr 2006 wurden noch nie so viele Frauen wie in diesem Jahr geehrt.

Die Gewinner der einzelnen Kategorien: Agnès Poulbot und Jacques Barraud† aus Frankreich gewannen mit ihrer Entwicklung eines sich selbst erneuernden Reifenprofils für Schwerlastfahrzeuge in der Kategorie „Industrie“. Die amerikanische Chemieingenieurin Esther Sans Takeuchi wurde für langlebige, kompakte Batterien in implantierbaren Kardioverter-Defibrillatoren (ICDs) in der Kategorie „Nicht-EPO-Staaten“ geehrt. Die irische Produktdesignerin Jane ní Dhulchaointigh und ihr Team erhielten die Auszeichnung für die Erfindung eines Mehrzweckklebstoffes für die Reparatur und Umgestaltung von Alltagsgegenständen in der Kategorie „KMU (Kleine und mittlere Unternehmen)“.

Auch der Award für das Lebenswerk ging an eine Frau, an die Schweizer Physikerin Ursula Keller für ihre Entwicklung der maßgeblichen Technologie für ultraschnelle Pulslaser in zahlreichen industriellen und medizinischen Anwendungen.

„Der Erfindungsreichtum und die Kreativität der diesjährigen Preisträger des Europäischen Erfinderpreises unterstreichen Europas Attraktivität als Technologie-Spitzenregion für Wissenschaftler und Erfinder aus der ganzen Welt“, sagte EPA-Präsident Benoît Battistelli. „Die Erfindungen von Jens Frahm haben das diagnostische Potenzial der Magnetresonanztomographie (MRT) für die öffentliche Gesundheitsversorgung erschlossen. Sie haben der MRT den Weg geebnet und sie als Standardtechnologie der modernen medizinischen Diagnostik etabliert. So hat sie in den vergangenen Jahrzehnten Millionen von Patienten geholfen. Ich freue mich besonders, dass in diesem Jahr der große Beitrag, den Erfinderinnen in vielen traditionell von Männern dominierten Bereichen leisten, Anerkennung findet.“

An der Preisverleihung im Théâtre Alexandre Dumas nahmen rund 600 Gäste aus den Bereichen Politik, Wirtschaft, geistiges Eigentum und Wissenschaft teil. Der Preis wird jährlich vom EPA verliehen, um herausragende Erfinder aus Europa und der ganzen Welt zu würdigen, die mit ihrer Erfindung einen maßgeblichen Beitrag zu gesellschaftlicher Entwicklung, technologischem Fortschritt und wirtschaftlichem Wachstum geleistet haben. Die Preisträger wurden von einer unabhängigen, internationalen Jury unter mehr als 500 Erfindern und Erfinder-Teams für die diesjährige Preisverleihung ausgewählt.

Der deutsche Preisträger des Europäischen Erfinderpreis 2018 in der Kategorie Forschung: Jens Frahm – Schnellere MRT in Echtzeit

Anfang der 1980er Jahre untersuchte Jens Frahm innerhalb eines Forschungsteams am Max-Planck-Institut für biophysikalische Chemie in Göttingen die Grundlagen eines damals neuen Konzepts: der sogenannten Kernspinresonanzspektroskopie (NMR), der Schlüsseltechnologie der MRT. Zwar diagnostizierte die MRT im Vergleich zum Röntgen Erkrankungen wie Gehirntumore und Herzfehler genauer, das Verfahren erwies sich indes als zu langsam für die medizinische Praxis. Frahm beschleunigte dieses Verfahren, indem er nur einen kleinen Teil des MRT-Signals für jede der vielen individuellen Messungen verwendete. So erhielt er innerhalb von Sekunden alle notwendigen Aufnahmen für ein hochauflösendes MRT-Bild: „Mit der FLASH Technik haben wir die Wartezeiten eliminiert. Und das hat im Grunde die gesamte moderne MRT eingeleitet“, erklärt der Erfinder. Der Rest ist Geschichte: Führende Hersteller übernahmen Frahms FLASH-Technik und Magnetresonanztomographen wurden zu einem Standardinstrument in der Medizin. Das MRT-Verfahren gehört zu den sichersten medizinischen Diagnoseverfahren. Heute werden weltweit mehr als 100 Millionen Untersuchungen pro Jahr in Krankenhäusern durchgeführt – jede einzelne nutzt Frahms Technologie.

Jens Frahm brachte 25 Jahre damit zu, die nächste Entwicklungsstufe des Bildgebungsverfahrens zu entwickeln: FLASH2 aus dem Jahr 2010 nutzt moderne Computerbildrekonstruktion, um die weltweit ersten MRT-Filme mit Aufzeichnungsgeschwindigkeiten von bis zu 50 Bildern pro Sekunde zu erzeugen.

„Im Grunde verschieben wir die MRT von einem Zustand der Fotografie zu einem Zustand des Films. Wir haben eine neue Methode entwickelt, mit der man erstmals direkt beliebige physiologische Vorgänge im Körper – jede Art von Körperfunktionen – abbilden bzw. filmen kann“, sagt Jens Frahm. FLASH2 gibt Ärzten eine neue Methode an die Hand, mit der sie schlagende Herzen, Gelenkbewegungen und komplexe Prozesse wie Schlucken oder Sprechen beobachten und neue diagnostische Erkenntnisse erlangen können. FLASH2 wird derzeit an Universitäten in Deutschland, Großbritannien und den USA für den klinischen Einsatz getestet.

Jens Frahm ist heute Direktor der Biomedizinischen NMR Forschung GmbH. Das Non-Profit-Unternehmen wurde 1993 am Göttinger MPI für biophysikalische Chemie mit dem Ziel gegründet, die FLASH-Forschung weiter auszubauen. Der Biophysiker koordiniert hier zahlreiche Forscher, die an der diagnostischen Anwendung der Echtzeit-MRT-Bilder arbeiten, die mittels FLASH2 erstellt wurden. Die FLASH-Plattform ist derzeit das profitabelste Patent der Max-Planck-Gesellschaft. Als herausragender Wissenschaftler erhielt Frahm die höchsten Auszeichnungen im Bereich der medizinischen Bildgebung. 2016 wurde er für seine Pionierarbeit in der MRT in die Hall of Fame der deutschen Forschung aufgenommen – einer ausgewählten Gruppe, die nur aus 20 Forschern besteht. „Ich habe mein ganzes Leben lang an der MRT gearbeitet. Für mich als Physiker ist dies eine wunderbare Gelegenheit, etwas Nützliches, etwas Sinnvolles zu tun, von dem Millionen von Menschen profitieren“, sagt der Erfinder.

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