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Schleudertrauma



Als Schleudertrauma bezeichnet man eine Verletzung der Weichteile im Bereich der Halswirbelsäule, meist verursacht durch plötzliche Beugung und Überstreckung, wie z. B. bei einem Auffahrunfall. Häufig wird diese Verletzung (angelehnt an weit verbreitete englische Bezeichnungen) als Peitschenhiebverletzung (whiplash injury) oder Peitschenschlagsyndrom (whiplash syndrome) bezeichnet. Korrekt aufgrund ihrer Ätiologie ist auch die Bezeichnung als Halswirbelsäulen-Distorsion.

Durch äußere Krafteinwirkungen kann es zu Schäden im Hals- und Nackenbereich kommen; diese können die Muskulatur, den Bandapparat, die Bandscheiben, die Gefäße und das Rückenmark betreffen.

Durch diese Verletzung reagiert der Körper - je nach Schweregrad - mit Verspannungen der Hals- und Nackenmuskulatur, welche sehr schmerzhaft sein können und zu den Hauptsymptomen des Schleudertraumas führen. In schlimmeren Fällen resultieren Instabilitäten am Kopf-Hals-Übergang, die sog. atlanto-okzipitale Instabilität und auch Gelenkkapselrisse, die dann für die ausgeprägte Symptomatik, die oftmals sehr leidvollen Charakter hat, archetypisch ist.

Inhaltsverzeichnis

Ätiologie (Ursachen)

Die häufigste Ursache eines Schleudertraumas ist ein Verkehrsunfall. Den Löwenanteil machen dabei Auffahrunfälle aus, wobei die Insassen des vorderen Wagens gefährdet sind. Auch seitliche Auffahrunfälle bergen ein großes Risiko, ein Schleudertrauma zu erleiden.

Neben Verkehrsunfällen führen häufig auch Sportunfälle (vor allem in Kampfsportarten wie Judo, Karate oder Boxen) zu einem Schleudertrauma.

Symptome

Hauptsymptome beim einfachen Schleudertrauma sind die Auswirkungen der Muskelverspannungen der Hals- und Nackenmuskulatur, welche zu Kopf- und Nackenschmerzen führen. Häufig halten die Beschwerden länger an und können chronifizieren. Eine großangelegte Forschungsarbeit des Autoherstellers Volvo kam zu dem Ergebnis, dass 17 Jahre nach der stattgehabten Schleudertrauma-Verletzung noch 55 % der Verunfallten darunter leiden und 5-8 % unfallbedingt berufsunfähig werden.

Als Symptome werden oft angegeben:

  • Schwindel
  • Benommenheit und quantitativ höhergradige Vigilanzstörungen
  • Brennende oder stechende Schmerzen im Okzipitalbereich
  • Hör- und Sehstörungen, Einschränkungen des Gesichtsfeldes
  • Aufmerksamkeitsstörungen, Desorientierung
  • Rasche Erschöpfbarkeit
  • Schlafstörungen
  • Schwächegefühl
  • Schmerzen und/oder Missempfindungen in Gesicht und Armen
  • Gangunsicherheiten
  • Muskelfunktionsstörungen
  • Spasmen

Auch ohne Symptome soll zum Ausschluss einer Wirbelkörperverletzung oder eines Schädel-Hirn-Traumas unbedingt ein spezialisierter Arzt aufgesucht werden.

Diagnoseverfahren

Besonders im Hinblick auf Verletzungen am Kopf-Halsübergang (Bspw. Riss oder Überdehnung der Alarligamente) sind vielfältige und ausgeprägte Symptome und häufig ein sehr großer Leidensdruck zu erkennen. Eine jüngst in der Zeitschrift Neuroradiology (Details siehe im Buch "Schleudertrauma - neuester Stand" im Literaturverzeichnis) veröffentlichte Studie aus Norwegen konnte noch 2 bis 9 Jahre nach dem Unfall bildgebend die Strukturverletzungen an den Kopfhaltebändern (Ligg.alare und Ligg.transversum) nachweisen. Die norwegischen Neuroradiologen verglichen dabei 92 Schleudertrauma-Betroffene und 30 Gesunde. Alleine aufgrund der randomisierten MRT-Bilder konnten sie mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit im nachhinein nachweisen, wer einen Frontal- bzw. Heckaufprall, bei geradeaus gehaltenem bzw. gedrehtem Kopf erlitten hat. Somit handelt es sich beim Schleudertrauma in den meisten Fällen um eine Strukturverletzung und nicht, wie früher mangels harter Fakten oft vermutet wurde, um eine psychogene Erkrankung.

Patienten mit einem HWS-Schleudertrauma, das nicht mit einer knöchernen Verletzung oder Verletzung nervaler Strukturen einhergeht, haben das Problem, dass sie von Unfallchirurgen, Orthopäden etc. untersucht werden und für die Untersuchung normale Röntgenaufnahmen, zumeist Zweischichtaufnahmen angefertigt werden. Diese Aufnahmen zeigen naturgemäß keine Veränderungen der Halswirbel bzw. des betroffenen Abschnittes, da in der Regel eine statische Aufnahme durchgeführt wird. Diese Situation betrifft auch moderne Untersuchungtechnologien, wie z.B. die Durchführung der Computertomographie oder Kernspintomographie, da es sich auch dort in der Regel nicht um funktionelle Untersuchungen handelt. Bei einem stillliegenden Patienten kann kein Riss der Bänder festgestellt werden. Es ist zu vergleichen mit einem Abriss der Bänder am Kniegelenk. Sind Kniegelenksbänder gerissen, ist der Patient nicht fähig zu laufen. Röntgenaufnahmen, die im Liegen hierzu durchgeführt werden, zeigen trotzdem keinerlei krankhaften Befund. Würde das Knie oder auch das ganze Bein von einem Neurologen untersucht, weil der Patient nicht laufen kann, wären keinerlei neurologischen Veränderungen zu erkennen. Wenn der Radiologe aber eine gehaltene Aufnahme, also eine funktionelle Aufnahme von jenem Kniegelenk anstrebte, könnte er damit sofort eine Fehlfunktion des Kniegelenkes, also die Vergrößerung des Kniegelenkspalts in krankhafter Form feststellen. Ebenso verhält es sich bei Bänderverletzungen an der Halswirbelsäule, die bei konventionell angefertigten Röntgen- oder MRT-Aufnahmen nicht dargestellt werden.

Es gibt jedoch Hoffnung für Betroffene, bei denen keine strukturellen Schäden mit bildgebenden Verfahren nachgewiesen werden können, dem Kinde einen Namen geben zu können. Dr. Abbas Montazem, Konziliararzt am Kreiskrankenhaus Bühl in Baden, beschreibt eine beeindruckende und einfache Technik, um atlanto-okzipitale Instabilitäten (Weichteilverletzungen) des Kopfgelenks zu diagnostizieren.

Therapie

Neuere Studien haben gezeigt, dass eine längere Schonung der Halswirbelsäule (z. B. durch Tragen einer Halskrause) die Heilung eher verzögert. Am effektivsten zeigen sich krankengymnastische Übungen unter professioneller Anleitung, mit welchen bereits zwei bis drei Tage nach dem Verletzungsereignis begonnen werden soll (nach Absprache mit dem behandelnden Arzt). Außerdem hat sich die manuelle Craniosakraltherapie bewährt. Von pharmazeutischer Seite kann neben eventuell notwendiger, vom Arzt verschriebener Schmerzmittelmedikation bisher keine wirkungsvolle Unterstützung geboten werden.

Wesentlich zur Symptomatik und zum Krankheitsverlauf trägt die psychotraumatologische Komponente bei, die jedoch auch in der Regel als unfallkausal zu werten ist. Die aus den organismischen Reaktionen verbleibenden Aktivierungen können neben verschiedenen Trauma-Symptomen (wie Schlaflosigkeit, innerer Unruhe, Reizbarkeit oder Angstzustände) zur Chronifizierung der körperlichen Beschwerden beitragen. Auch ein kleiner Unfall kann zudem Reaktionen aus früheren Unfällen reaktivieren. Zur Behandlung dieser Komponenten hat sich Somatic Experiencing-Traumatherapie bewährt.

Resultiert ein Unfall in einer atlanto-okzipitalen Instabilität, bleibt mitunter nur eine operative Stabilisierung als Möglichkeit, den Leidensdruck des Patienten zu reduzieren.

Unfallmechanik - Biomechanik

Der Anstoß durch ein auffahrendes oder seitlich aufprallendes Fahrzeug führt zur Übertragung der Bewegung auf die Insassen. Dies geschieht nach einer kurzen Latenz, während welcher zuerst die Knautschzonen des Fahrzeugs verformt werden und das angestoßene Fahrzeug selbst entsprechend der Wucht des Aufpralls in Bewegung gesetzt wird. Diese Beschleunigung überträgt sich via Autositz auf die Insassen (vgl. Impulskraft o. Impulserhaltung).

Die Wirbelsäule wird dabei zuerst beim sogenannten Ramping (Aufsteigen des Oberkörpers an der Rückenlehne) langgestreckt. Der Kopf 'drückt' dabei nach unten dagegen (Trägheitsmoment). Dabei werden die Bandscheiben 'zusammendrückt' (gestaucht, Distorsion). Auf die dadurch bereits geschwächte Wirbelsäule wirken in der weiter einsetzenden Bewegung nach wenigen Millisekunden weitere starke Kräfte, welche die Verletzungsgefahr erheblich steigern, da eine so gestauchte und gestreckte Wirbelsäule viel verletzungsanfälliger gegen Seitenbewegungen ist. Erst jetzt nämlich wandelt sich die Aufprallbeschleunigung auch für die Insassen in eine Vorwärtsbewegung um. Dabei wird der Oberkörper der Insassen vom Sicherheitsgurt zurückgehalten, während der Kopf nach vorn schnellen will. Dies findet jedoch nicht in einer bisher angenommenen reinen Peitschenschlag-Bewegung (engl. whiplash) statt, sondern in einer Translationsbewegung, das heißt horizontalen Scherbewegung mit höchstem Verletzungsrisiko für alle Strukturen der Hals- (HWS) und Brustwirbelsäule (BWS). So sieht man bei Motorsport-Rennen, u.a. der Formel 1, seit einigen Jahren die schwarzen Aufsatzgestelle auf den Schultern der Fahrer, an denen der Helm mit Seilen befestigt wird, um dieser Translationsbewegung vorzubeugen und somit den Fahrer zu schützen (HANS-System).

Die Unfallanalyse und Biomechanik der Geschwindigkeitsänderungen dienen als Quelle für die Frage, welche Kräfte auf den menschlichen Körper eingewirkt haben. Die Unfallanalyse rechnet aus, welche Kräfte auf die sich bewegenden Körper gewirkt haben, zum Beispiel welches Auto mit welcher Kraft belastet wurde. Interessant ist vor allem, welche Geschwindigkeitsänderung das von hinten angestoßene Auto erfahren hat. Dabei ist nicht wesentlich, wie schnell das hinterherfahrende Fahrzeug war, sondern wie groß der Geschwindigkeitsunterscheid zwischen den Fahrzeugen war. Auch die Knautschzonen sind wesentlich, da sie viel Energie absorbieren können. Die Biomechanik (der Biomechaniker ist ein Arzt und erfahren mit der Unfallanalyse) sagt anschließend aus, wie stark die Kräfte, die auf die angestoßenen Körper (Autos) wirkten, sich auf den Menschen (Insassen) ausgewirkt haben. Dabei ist wesentlich, wie die Person saß, wie alt sie ist und wie ihr Gesundheitszustand ist. Der Biomechaniker kann schließlich sagen, ob die geltend gemachten Beschwerden durch den Unfall erklärt werden können.

Die sogenannte Harmlosigkeitsgrenze, also der Erfahrungswert, dass bei Heckanstößen unter einer Geschwindigkeitsänderung von 10 km/h (sog. Delta-v) keine bleibenden Schäden zu erwarten sind, gilt definitiv als überholt. In zahlreichen Studien der Autoindustrie wird aufgezeigt, dass schon beim Heckaufprall bei einer Geschwindigkeitsänderung von Delta-v = 5 km/h mit hoher bzw. sehr hoher Wahrscheinlichkeit Langzeitschäden zu erwarten sind. Auch bei Frontalkollisionen musste von den Wissenschaftler der früher angenommene Schwellenwert für eine HWS-Verletzung aufgegeben werden. Selbst der Bundesgerichtshof hat in einem Grundsatzurteil anerkannt, dass Schäden an der Halswirbelsäule schon bei niedrigsten Geschwindigkeiten, also weit unter 10 km/h grundsätzlich möglich sind, weswegen stets auch ein medizinisches Gutachten einzuholen ist.

Schutzsysteme im PKW

Um ein Schleudertrauma bei einem Verkehrsunfall vorzubeugen, ist es sehr wichtig, die Kopfstütze richtig einzustellen, ideal ist ein Abstand von weniger als 2 cm zwischen Kopfstütze und Kopf. Manche Fahrzeuge sind mit so genannten Aktiven Kopfstützen ausgestattet, die sich im Fall eines Heckaufpralls in die Richtung des Kopfes bewegen, um ihn früher aufzufangen. Das effizenteste Schleudertraumaschutzsystem am Automobilmarkt hat der schwedische Automobilhersteller Volvo entwickelt. Dieses System nennt sich WHIPS und verhindert ein Schleudertrauma um nahezu 80 %. Es bekam auch zahlreiche Auszeichnungen von Verkehrssicherheitsbehörden.

Recht und "Unrecht"

Da nebst den Angaben des Patienten oftmals keine medizinisch nachweisbaren Läsionen oder Subluxationen vorhanden sind wurde häufig im Gerichtssaal anstatt am Patientenbett über die Diagnose 'Schleudertrauma' diskutiert. Bei der Diagnose "Schleudertrauma" sollte auf der einen Seite eine mögliche hypochondrische Symptomverstärkung beachtet werden und andererseits die subjektive Schilderung des Patienten angemessen ernsthaft bewertet werden. Eine kanadische Versicherungsstudie fand heraus, dass der Prozentsatz der Simulanten oder Aggravanten bei etwa 12 % liegen dürfte. Angesichts der fast 90 % wirklich Geschädigter sind die in Gutachten oft zu lesenden Unterstellungen wie Simulation nicht nachvollziehbar. In diesem Zusammenhang darf auch nicht vergessen werden, dass viele Gutachter in einem sehr engen Abhängigkeitsverhältnis zur Versicherungswirtschaft stehen und kaum mehr Aufträge von ihnen bekommen, wenn sie zu patientenfreundlich arbeiten.

Mangels nachweisbarer Schäden wird den Kfz-Versicherungen bei Gerichtsverhandlungen häufig vorgeworfen, sie würden versuchen durch Diskreditierung der Unfallopfer als Simulanten die Schädigung zu verharmlosen und sich so der Zahlungspflicht zu entziehen.

Ob ein geringfügiges Schleudertrauma im Rahmen eines Verkehrsunfalles entschädigungslos hinzunehmen ist, wird von den Gerichten uneinheitlich beurteilt: Während das Landgericht Augsburg annimmt, dass eine gewisse Harmlosigkeitsschwelle hinzunehmen ist [1], lehnt das Oberlandesgericht Schleswig eine solche Einschränkung ab [2].

Literatur

  • Hans Schmidt, Jürgen Senn: Schleudertrauma - neuester Stand. Medizin, Biomechanik, Recht und Case Management. Expertenwissen für Juristen, Ärzte, Betroffene und Versicherungskaufleute. Zürich 2004, ISBN 3-033-00172-6,
  • Renata Huonker-Jenny: Schleudertrauma, das unterschätzte Risiko. Kösel, München 2002, ISBN 3-466-30593-4
  1. LG Augsburg, Urt. v. 15.02.2000 - 4 S 4743/98
  2. OLG Schleswig, Urteil vom 29.06.2006 - 7 U 94/05
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Dieser Artikel basiert auf dem Artikel Schleudertrauma aus der freien Enzyklopädie Wikipedia und steht unter der GNU-Lizenz für freie Dokumentation. In der Wikipedia ist eine Liste der Autoren verfügbar.
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